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23. Mai 2024 – Mai-Plenum

Würdigung: 75 Jahre Grundgesetz

Das Grundgesetz ist 75 Jahre alt. Die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages lassen keinen Zweifel: Das Grundgesetz ist der Garant von Demokratie und Freiheit und muss verteidigt werden.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland liegt einzel und in Stapeln auf einem Tisch aus.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland liegt einzel und in Stapeln auf einem Tisch aus.
© Foto: picture alliance / dpa

Das Grundgesetz hat nach Überzeugung des Landtages als Garant für Demokratie, Frieden, Freiheit und Menschenrechte eine „Erfolgsgeschichte“ geschrieben. Aber es sei bedroht, und es gebe an einigen Stellen Nachbesserungsbedarf im Verfassungswerk. Diese Bilanz stand am Ende einer engagierten Debatte zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes, das am 23. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat in Bonn beschlossen wurde. „So richtige Partystimmung kommt nicht auf“, blickte Christopher Vogt (FDP) auf den Jahrestag, und das liege „am Zustand unserer Gesellschaft am heutigen Tag“.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

„Wir erleben eine ungesunde Polarisierung und sogar Spaltung unserer Gesellschaft“, so Vogt weiter. Streitthemen seien etwa Migration, Klima und der Krieg gegen die Ukraine. Die größte Gefahr komme von Rechtsaußen, wo man „konsequent lügt“ und „demokratische Institutionen verächtlich macht“. Aber auch aus dem linksradikalen Spektrum und von Gruppen wie der „Letzten Generation“ werde die Demokratie angegriffen.

„Im 75. Jahr des Grundgesetzes ist unsere freiheitliche, demokratische Ordnung so bedroht, wie nie zuvor in der Geschichte“, stellte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) fest: „Es ist etwas ins Rutschen geraten.“ Dennoch gebe es in der Bevölkerung eine breite Unterstützung für die Verfassung, so die Ministerin: „Wir sind viele, wir sind bunt, wir sind mehr, und unsere Demokratie bleibt wehrhaft.“

Immer mehr politisch motivierte Übergriffe

Die Grüne-Abgeordnete Bettina Braun hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
Die Grüne-Abgeordnete Bettina Braun hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Geschlossen fordert die Landespolitik mehr Respekt für politisch aktive Menschen. Hintergrund ist die steigende Zahl an politisch motivierten Übergriffen. Laut Bundesinnenministerium sind im vergangenen Jahr in Deutschland 3.691 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sowie Parteivertreter erfasst worden, davon 80 Gewaltdelikte. 2022 waren es demnach 1.994 Delikte, davon 67 Gewaltdelikte. Zuletzt hatten körperliche Angriffe auf den sächsischen EU-Abgeordneten Matthias Ecke und die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (beide SPD) für Entsetzen gesorgt.

Viele aktive Menschen erlebten eine „aggressive und feindliche Atmosphäre“ und stellten sich die Frage: „Warum mache ich das eigentlich?“, hat Bina Braun (Grüne) beobachtet. Kommunalpolitiker würden verantwortlich gemacht für den Kurs ihrer Partei in Berlin oder für persönliche Sorgen der Bürger. Die verbalen und körperlichen Angriffe seien „kein privates Problem der Opfer, sie betreffen uns alle, denn sie sind eine Gefahr für die Demokratie“.

Meinungsäußerungsfreiheit „bröckelt bereits“

Die CDU-Abgeordnete Marion Schiefer hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages
Die CDU-Abgeordnete Marion Schiefer hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Viele Mandatsträger, so Marion Schiefer (CDU), praktizierten eine „präventive Selbstzensur“ und hielten sich bei Posts im Internet oder bei öffentlichen Äußerungen zurück, um keinen Shitstorm zu provozieren: „Unsere Meinungsäußerungsfreiheit als politische Handelnde bröckelt bereits.“ Birte Glißmann (CDU) fügt an: „Menschen, die solche Taten begehen, egal aus welcher Motivation und welcher politischen Gesinnung heraus, greifen das Grundgesetz und damit uns alle an.“ Es gehe darum, die demokratischen Werte, auch „gegenüber denjenigen zu verteidigen, die dank unseres liberalen Demonstrationsrechts, dank unserer Meinungs- und Pressefreiheit auf unseren Straßen nach einem Kalifatstaat in Deutschland rufen“.

Das Grundgesetz gehöre „zu den großen Errungenschaften in unserer Geschichte“, betonte Serpil Midyatli (SPD). Sie forderte, es konsequent anzuwenden. Der Artikel 14 „Eigentum verpflichtet“ müsse konkret in ein Wohnraumschutzgesetz umgemünzt werden. Die Schuldenbremse nach Artikel 109 müsse so gefasst werden, dass „wir wieder mehr investieren können, damit wir in Krisen agiler agieren können“. Und die Kinderrechte müssten endlich verankert werden.

SSW: Rechte der Minderheiten ins Grundgesetz

SSW-Fraktionschef Lars Harms hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
SSW-Fraktionschef Lars Harms hält eine Rede im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Lars Harms (SSW) forderte, die Rechte nationaler Minderheiten ins Grundgesetz zu schreiben: „Dafür setzen wir uns seit Jahrzehnten ein.“ Er rief die Landesregierung auf, eine entsprechende Bundesratsinitiative zu starten. Zudem kündigen die fünf Landtagsfraktionen an, die Verfassung, die Geschäftsordnung des Parlaments sowie die Gerichtsverfassung des Landesverfassungsgerichts zu überprüfen, „ob Änderungen zur Sicherung der demokratisch legitimierten Institutionen vor dem Zugriff oder einer wesentlichen Einflussnahme durch extremistische parlamentarische Kräfte erforderlich sind“. Jan Kürschner (Grüne) sprach sich für „Mut zur Intoleranz“ gegenüber denjenigen aus, „die die Demokratie missbrauchen wollen, um sie abzuschaffen“. So sei eine Blockade des Richterwahlausschusses derzeit bereits mit einem Stimmenanteil von einem Drittel möglich.

Ein weiterer Punkt: Der Landtag verurteilt die jüngsten Aktionen gegen Regenbogenflaggen in Flensburg. Dort waren Anfang Mai Transparente der Rainbow Days entfernt und anschließend angezündet worden. Die Regenbogenflagge gilt als Symbol queerer Menschen. „Das Verbrennen von Symbolen, die für die Freiheit, die Vielfalt und die Toleranz unserer demokratischen Gesellschaft stehen, ist ein Angriff auf grundlegende Werte eines friedlichen, respektvollen und menschenwürdigen Miteinanders“, betont ein fraktionsübergreifender Antrag. Kianusch Stender (SPD) wies darauf hin, dass sich die Queer-Feindlichkeit innerhalb eines Jahres in Deutschland verdoppelt habe und hielt den Angreifern entgegen: „Euer Hass macht uns nur stärker.“

Am 23. Mai 2024 ist das Grundgesetz genau 75 Jahre in Kraft. Die Verabschiedung des Verfassungstextes im Parlamentarischen Rat in Bonn jährt sich an diesem Tag. Aus diesem Anlass rufen die Fraktionen von CDU, Grünen, SPD, FDP und SSW gemeinsam dazu auf, „den Rechtsstaat und die demokratischen Institutionen gegen Missbrauch abzusichern und sicherzustellen, dass demokratische Strukturen auch nicht aus dem Parlament heraus ausgehöhlt oder delegitimiert werden“. Ein weiterer Teil der Debatte ist die zunehmende Gewalt gegen Politiker ist. Zuletzt machten Nachrichten von angegriffenen und verletzten Helfern im Europawahlkampf die Runde. Auch in Schleswig-Holstein reagierten die Parteien mit Entsetzen und Sorge.

Der Landtag trage dafür Sorge, dass das Parlament, die Justiz, die Verwaltung und die demokratisch legitimierten Institutionen des Landes vor dem Einfluss von verfassungsfeindlichen und extremistischen Kräften wirksam geschützt werden, heißt es in dem interfraktionellen Antrag zum Grundgesetz-Jubiläum. Hierzu werde der Landtag die Verfassung des Landes, seine Geschäftsordnung sowie die Gerichtsverfassung des Landesverfassungsgerichts daraufhin überprüfen, ob Änderungen erforderlich sind und gegebenenfalls entsprechende Änderungsvorschläge erarbeiten.

Sorge um Grundwerte der Demokratie

In der Begründung des Antrags wird die Sorge laut, dass in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Partei parlamentarische Mehrheiten erreichen könnte, deren Verständnis von Demokratie, Parlamentarismus und Menschenwürde nicht den Werten des Grundgesetzes entspreche. Es müsse damit gerechnet werden, dass der Parteienstaat und alle die Verfassung schützenden Bestimmungen und Institutionen umgebaut beziehungsweise reduziert werden sollen, um eine „neue Ordnung“ zu begründen, „in welcher der Rechtsstaat allmählich seine individualschützende Aufgabe für bestimmte Bevölkerungsgruppen verliert, die gemäß einer völkischen Ideologie weniger oder gar nicht mehr schützenswert sind“.

In einem zusätzlichen eigenen Antrag fordert die FDP zudem von der Landesregierung, „durch geeignete Demokratiebildung zur Akzeptanz des Grundgesetzes beizutragen und von allen unterschiedslos ein klares Bekenntnis zu seinen Werten und Grundsätzen einzufordern“.

Die Verkündung des Grundgesetzes markierte 1949 die Gründung der Bundesrepublik Deutschland aus den drei westlichen Besatzungszonen – der britischen, der amerikanischen und der französischen. Es war im Parlamentarischen Rat formuliert worden, einem Gremium, in dem 70 Vertreter der zuvor gegründeten Bundesländer zusammengekommen waren. In seinen 146 Artikeln sichert es Menschen- und Bürgerrechte zu, beschreibt den Staatsaufbau und legt die Kompetenzen und die Funktionsweise der staatlichen Institutionen fest. Am 3. Oktober 1990 traten die neu gegründeten Länder, die auf dem Territorium der DDR entstanden waren, dem Grundgesetz bei.

Übergriffe auf Politiker

Ebenfalls Gegenstand der Debatte: Die Fraktionen von FDP, CDU, Grünen, SPD und SSW sind besorgt angesichts zunehmender Drohungen und Beleidigungen gegen Kommunalpolitiker, die in den letzten Wochen zugenommen haben. Attacken, die sich gegen Meinungsäußerungen, Ansichten, den Lebensstil, die Weltanschauung oder die sexuelle Orientierung von ehrenamtlichen Amts- und Mandatsträgern richten, seien nicht zu tolerieren, heißt es in einem Antrag der fünf Fraktionen. Derartige Angriffe seien eine ernste Bedrohung, „auch weil es Menschen abschrecken soll und kann, sich in politische Meinungsbildungsprozesse einzubringen“. Und weiter wird in dem Papier hervorgehoben: „Wir wollen in einem Land leben, in dem es keinen Mut braucht, die eigene Meinung zu sagen und sich im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung dafür zu engagieren und einzusetzen.“

Jüngsten Angaben von Innenministerin Nancy Faeser zufolge ist ein starker Anstieg von Attacken gegen politisch aktive Menschen zu verzeichnen. Vergangenes Jahr seien knapp 3700 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sowie Parteivertreter erfasst worden, davon 80 Gewaltdelikte, schrieb die SPD-Politikerin in einem Gastbeitrag für die Pfingstausgabe der „Welt am Sonntag. 2022 waren es demnach noch 1994 Delikte, davon 67 Gewaltdelikte. Die Vorfälle geschehen laut älteren Studien gleichermaßen in ländlichen Gegenden wie auch in der Großstadt. Orte der Attacken sind öffentliche Veranstaltungen, Diensträume aber auch das private Umfeld.

Laut einer Studie des Brandenburger Innenministeriums hat jeder dritte kommunale Amts- und Mandatsträger in dem Bundesland zwischen 2014 und 2021 mindestens einmal Beleidigungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen oder körperliche Gewalt erlebt. Frauen seien deutlich stärker betroffen als Männer. Insbesondere Vertreter von Grünen, Linkspartei und AfD berichteten von derartigen Vorfällen. Eine Studie der Universität Gießen aus dem Jahr 2021 zeichnet ein ähnliches Bild in Hessen. Nur jeder fünfte der rund 400 befragten hessischen Bürgermeister ist demnach noch nie im Amt beleidigt worden. 27 Prozent der Befragten wollen sich aufgrund der Erfahrungen nicht mehr zur Wahl stellen. Bei den Tätern handelt es sich laut der Studie überwiegend um Männer über 50, bei denen oft eine psychische Problematik vermutet wird.

Regenbogenflagge verbrannt

In einem weiteren Antrag verurteilen die Liberalen das Verbrennen einer Regenbogenflagge in Flensburg in der Nacht zum 8. Mai. Hierüber hatte unter anderem das „Flensburger Tageblatt“ in seiner Ausgabe am 10. Mai berichtet. „Das Verbrennen von Symbolen, die für die Freiheit, die Vielfalt und die Toleranz unserer demokratischen Gesellschaft stehen, ist ein Angriff auf grundlegende Werte eines friedlichen, respektvollen und menschenwürdigen Miteinanders“, so die FDP. Der Landtag wird aufgefordert, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus sowie Gewalt jeglicher Art entschieden entgegenzutreten.

Vorherige Debatte zum Thema:
März 2024 (ohne Meldung in plenum-online)
Februar 2022 (Aktionsplan Echte Vielfalt / 19. Wahlperiode)

Antrag

Top 21:
Keine Toleranz bei Drohungen, Schmähungen und Verunglimpfungen
Antrag der Fraktionen von FDP, CDU, Grünen und SSW – Drucksache 20/1990 (neu, 2. Fassung)

Antrag

Top 39:
Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes
Antrag der Fraktion der FDP – Drucksache 20/2142(neu)

Antrag

Top 46:
Die Regenbogenflagge ist Symbol unserer freien, vielfältigen und toleranten Gesellschaft
Antrag der Fraktion der FDP, CDU, Grünen, SPD und SSW – Drucksache 20/2151(neu)

Antrag

Top 47:
Den Rechtsstaat und die demokratischen Institutionen gegen Extremismus stärken
Antrag der Fraktionen von CDU, Grünen, SPD, FDP und SSW – Drucksache 20/2152