Am 23. Mai 2024 ist das Grundgesetz genau 75 Jahre in Kraft. Die Verabschiedung des Verfassungstextes im Parlamentarischen Rat in Bonn jährt sich an diesem Tag. Aus diesem Anlass rufen die Fraktionen von CDU, Grünen, SPD, FDP und SSW gemeinsam dazu auf, „den Rechtsstaat und die demokratischen Institutionen gegen Missbrauch abzusichern und sicherzustellen, dass demokratische Strukturen auch nicht aus dem Parlament heraus ausgehöhlt oder delegitimiert werden“. Ein weiterer Teil der Debatte ist die zunehmende Gewalt gegen Politiker ist. Zuletzt machten Nachrichten von angegriffenen und verletzten Helfern im Europawahlkampf die Runde. Auch in Schleswig-Holstein reagierten die Parteien mit Entsetzen und Sorge.
Der Landtag trage dafür Sorge, dass das Parlament, die Justiz, die Verwaltung und die demokratisch legitimierten Institutionen des Landes vor dem Einfluss von verfassungsfeindlichen und extremistischen Kräften wirksam geschützt werden, heißt es in dem interfraktionellen Antrag zum Grundgesetz-Jubiläum. Hierzu werde der Landtag die Verfassung des Landes, seine Geschäftsordnung sowie die Gerichtsverfassung des Landesverfassungsgerichts daraufhin überprüfen, ob Änderungen erforderlich sind und gegebenenfalls entsprechende Änderungsvorschläge erarbeiten.
Sorge um Grundwerte der Demokratie
In der Begründung des Antrags wird die Sorge laut, dass in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Partei parlamentarische Mehrheiten erreichen könnte, deren Verständnis von Demokratie, Parlamentarismus und Menschenwürde nicht den Werten des Grundgesetzes entspreche. Es müsse damit gerechnet werden, dass der Parteienstaat und alle die Verfassung schützenden Bestimmungen und Institutionen umgebaut beziehungsweise reduziert werden sollen, um eine „neue Ordnung“ zu begründen, „in welcher der Rechtsstaat allmählich seine individualschützende Aufgabe für bestimmte Bevölkerungsgruppen verliert, die gemäß einer völkischen Ideologie weniger oder gar nicht mehr schützenswert sind“.
In einem zusätzlichen eigenen Antrag fordert die FDP zudem von der Landesregierung, „durch geeignete Demokratiebildung zur Akzeptanz des Grundgesetzes beizutragen und von allen unterschiedslos ein klares Bekenntnis zu seinen Werten und Grundsätzen einzufordern“.
Die Verkündung des Grundgesetzes markierte 1949 die Gründung der Bundesrepublik Deutschland aus den drei westlichen Besatzungszonen – der britischen, der amerikanischen und der französischen. Es war im Parlamentarischen Rat formuliert worden, einem Gremium, in dem 70 Vertreter der zuvor gegründeten Bundesländer zusammengekommen waren. In seinen 146 Artikeln sichert es Menschen- und Bürgerrechte zu, beschreibt den Staatsaufbau und legt die Kompetenzen und die Funktionsweise der staatlichen Institutionen fest. Am 3. Oktober 1990 traten die neu gegründeten Länder, die auf dem Territorium der DDR entstanden waren, dem Grundgesetz bei.
Übergriffe auf Politiker
Ebenfalls Gegenstand der Debatte: Die Fraktionen von FDP, CDU, Grünen, SPD und SSW sind besorgt angesichts zunehmender Drohungen und Beleidigungen gegen Kommunalpolitiker, die in den letzten Wochen zugenommen haben. Attacken, die sich gegen Meinungsäußerungen, Ansichten, den Lebensstil, die Weltanschauung oder die sexuelle Orientierung von ehrenamtlichen Amts- und Mandatsträgern richten, seien nicht zu tolerieren, heißt es in einem Antrag der fünf Fraktionen. Derartige Angriffe seien eine ernste Bedrohung, „auch weil es Menschen abschrecken soll und kann, sich in politische Meinungsbildungsprozesse einzubringen“. Und weiter wird in dem Papier hervorgehoben: „Wir wollen in einem Land leben, in dem es keinen Mut braucht, die eigene Meinung zu sagen und sich im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung dafür zu engagieren und einzusetzen.“
Jüngsten Angaben von Innenministerin Nancy Faeser zufolge ist ein starker Anstieg von Attacken gegen politisch aktive Menschen zu verzeichnen. Vergangenes Jahr seien knapp 3700 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sowie Parteivertreter erfasst worden, davon 80 Gewaltdelikte, schrieb die SPD-Politikerin in einem Gastbeitrag für die Pfingstausgabe der „Welt am Sonntag. 2022 waren es demnach noch 1994 Delikte, davon 67 Gewaltdelikte. Die Vorfälle geschehen laut älteren Studien gleichermaßen in ländlichen Gegenden wie auch in der Großstadt. Orte der Attacken sind öffentliche Veranstaltungen, Diensträume aber auch das private Umfeld.
Laut einer Studie des Brandenburger Innenministeriums hat jeder dritte kommunale Amts- und Mandatsträger in dem Bundesland zwischen 2014 und 2021 mindestens einmal Beleidigungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen oder körperliche Gewalt erlebt. Frauen seien deutlich stärker betroffen als Männer. Insbesondere Vertreter von Grünen, Linkspartei und AfD berichteten von derartigen Vorfällen. Eine Studie der Universität Gießen aus dem Jahr 2021 zeichnet ein ähnliches Bild in Hessen. Nur jeder fünfte der rund 400 befragten hessischen Bürgermeister ist demnach noch nie im Amt beleidigt worden. 27 Prozent der Befragten wollen sich aufgrund der Erfahrungen nicht mehr zur Wahl stellen. Bei den Tätern handelt es sich laut der Studie überwiegend um Männer über 50, bei denen oft eine psychische Problematik vermutet wird.
Regenbogenflagge verbrannt
In einem weiteren Antrag verurteilen die Liberalen das Verbrennen einer Regenbogenflagge in Flensburg in der Nacht zum 8. Mai. Hierüber hatte unter anderem das „Flensburger Tageblatt“ in seiner Ausgabe am 10. Mai berichtet. „Das Verbrennen von Symbolen, die für die Freiheit, die Vielfalt und die Toleranz unserer demokratischen Gesellschaft stehen, ist ein Angriff auf grundlegende Werte eines friedlichen, respektvollen und menschenwürdigen Miteinanders“, so die FDP. Der Landtag wird aufgefordert, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus sowie Gewalt jeglicher Art entschieden entgegenzutreten.
Vorherige Debatte zum Thema:
März 2024 (ohne Meldung in plenum-online)
Februar 2022 (Aktionsplan Echte Vielfalt / 19. Wahlperiode)