Erschüttert von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November zum Umgang mit Notkrediten und Sondervermögen wird das Parlament die Auswirkungen des Karlsruher Richterspruchs auf die Haushaltssituation des Landes Schleswig-Holstein beleuchten. Aktuell hat die Opposition das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Im Kern wollen FDP und SSW im Rahmen einer Aktuellen Stunde erfahren, welchen finanzpolitischen Kurs die Landesregierung in den kommenden Jahren einschlagen will.
Unterdessen haben die regierungstragenden Fraktionen von CDU und Grünen sowie Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) bereits angekündigt, gemäß der Landesverfassung eine außergewöhnliche Notsituation feststellen zu lassen. Eine Haushaltsnotlage bei einer öffentlichen Gebietskörperschaft kann ausgerufen werden, wenn die laufenden Ausgaben auch auf lange Sicht nur durch Aufnahme von Krediten, das heißt durch steigende Verschuldung, gedeckt werden können. Am Freitag vor der Tagung wurde dann bekannt, dass die Landesregierung sofort nach dem Urteil aus Karlsruhe alle Zahlungen aus Notkrediten gestoppt hat, darunter Gelder für Flüchtlingsunterkünfte oder für Klimaschutzprogramme. Kritik der Opposition gab es, weil dies in einer Finanzausschusssitzung am letzten Donnerstag dem Parlament nicht mitgeteilt worden war.
Heinold: Notkredite für „multiple Krisen“
Finanzministerin Heinold spricht mit Blick auf das Ausrufen einer Haushaltsnotlage von konsequentem Handeln, „da das Land auch 2023 zur Bewältigung der multiplen Krisen Notkredite benötigt“. Dafür sei nach dem Urteil ein erneuter Landtagsbeschluss notwendig. Auf Grundlage der Entscheidung in Karlsruhe werde die Landesregierung über mögliche weitere Konsequenzen beraten.
Das Bundesverfassungsgericht hatte vergangenen Mittwoch die Nutzung von Notkrediten auf das jeweilige Haushaltsjahr zeitlich befristet und klargestellt, dass solche Kredite nur zur Behebung einer festgestellten, außergewöhnlichen Notlage eingesetzt werden dürfen. Konkret war von den Richtern eine auf mehrere Jahre geplante Umschichtung von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt von 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Der Bund darf zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachtes Geld damit nicht für den Klimaschutz nutzen. Das könnte sich stark auf den sogenannten Klima- und Transformationsfonds auswirken, aus dem die Bundesregierung zahlreiche Förderprogramme – unter anderem für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen ‒ bezahlen wollte.
„Northvolt“-Millionen strittig
Sondervermögen sind in Schleswig-Holstein seit Jahren gängige Praxis wie beispielsweise das Programm Impuls zum Bau von Straßen. 2020 bewilligte der Landtag im Zuge der Corona-Pandemie einen Corona-Notkredit über bis zu 5,5 Milliarden Euro, reduzierte diesen aber später. Zudem beschloss das Parlament einen Ukraine-Notkredit über 1,4 Milliarden Euro. Ein Problem stellen nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nun Umschichtungen beziehungsweise Entnahmen aus den Sondervermögen für andere Zwecke dar, wie etwa die Landesförderung über rund 137 Millionen Euro für die geplante Ansiedlung der „Northvolt“-Batteriezellenfabrik. Dies will Schwarz-Grün aus Mitteln des Ukraine-Notkredits finanzieren.
Ähnlich verhält es sich mit langfristigen Mitteln für den Klimaschutz. Schon länger wird die Frage diskutiert, ob das Klimageschehen eine außergewöhnliche Notlage darstellt, die sich der Kontrolle des Staates entzieht. Der Bund der Steuerzahler kritisierte derweil den Kurs der Landesregierung. „Mit den Schuldentricksereien durch fingierte Haushalts-Notlagen, über die Kredite in Rücklagen für Zukunftsinvestitionen umgeleitet werden, muss auch in Schleswig-Holstein endgültig Schluss sein“, sagte Verbandspräsident Aloys Altmann nach dem Verfassungsgerichtsurteil. Mit Ausnahme der Ostsee-Sturmflut im Oktober habe es 2023 keine außergewöhnliche Notlage gegeben, die sich der Kontrolle des Staates entziehe. Und auch die Präsidentin des Landesrechnungshofs, Gaby Schäfer, hatte nach dem Urteil der Richter in Karlsruhe gesagt: „Notkredite dürfen danach nicht auf Vorrat aufgenommen werden und über mehrere Jahre in Rücklagen und Sondervermögen geparkt werden.“
Stichwort: Aktuelle Stunde
Über eine bestimmte Frage von allgemeinem Interesse kann eine Aktuelle Stunde von einer Fraktion oder von mindestens fünf Abgeordneten beantragt werden. Der Antrag muss spätestens zwei Tage vor Sitzungsbeginn gestellt werden.
Bei einer Aktuellen Stunde beraten die Abgeordneten ohne feste Rednerliste über einen landespolitischen Gegenstand von aktueller Bedeutung. Die Redezeit ist auf fünf Minuten pro Beitrag begrenzt. Die Reden sollen frei gehalten werden. Die Gesamtredezeit der Abgeordneten darf 60 Minuten nicht überschreiten; hinzu kommt das Zeitkonto der Landesregierung von maximal 30 Minuten. Werden zwei Anträge in einer Aktuellen Stunde behandelt, ist die Dauer auf eineinhalb Stunden beschränkt. Mit einer Aktuellen Stunde wird kein konkreter Beschluss herbeigeführt; sie dient vorrangig dem Meinungsaustausch und der Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte gegenüber der Öffentlichkeit.
(Stand: 20. November 2023)