Eine Frau lehnt an einem Strandkorbund genießt die Sonne am Strand.
©
Foto: dpa, Georg Wendt
Die Pandemielage scheint sich zu entspannen: Die Zahl der Corona-Fälle sinkt fortlaufend, erste Öffnungsschritte sind in dieser Woche in Kraft getreten. Vorherrschendes Thema bleibt Corona dennoch. In einer umfangreichen Landtagsdebatte zur Umschichtung des Milliarden-Notkredits zur Bewältigung der Krise, zum Impfen, zu Schulen und Grundrechten war in Teilen eine vorsichtige Aufbruchsstimmung herauszuhören.
„Wir können mit Freude und erleichtert auf die Entwicklung der Zahlen gucken“, sagte CDU-Fraktionschef Tobias Koch. Mehrere Redner, wie etwa SPD-Oppositionsführer Ralf Stegner, warnten aber auch davor, ein schnelles Ende der Pandemie herbeizureden. Grünen-Finanzministerin und Vize-Ministerpräsidentin Monika Heinold sagte: „Das Licht am Ende des Tunnels wird wieder heller.“
Stegner: Einladungssystem kommt zu spät
Stegner, der die Debatte eröffnete, machte deutlich, dass die zuletzt in Kraft getretenen Öffnungen eine gute Nachricht seien. In der Realität sei Corona jedoch noch nicht vorbei. „Vorsicht bleibt unverzichtbar“, so Stegner. Impfungen blieben der beste Weg aus der Pandemie. Denn: „Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere“. Die Impfterminvergabe der Landesregierung nannte er jedoch ein Trauerspiel. Das System zwinge Menschen, „zu Egoisten zu werden“. Es könne nicht angehen, dass diejenigen mit den meisten technischen Geräten am schnellsten an einen Termin kommen. Mehr Tempo beim Impfen könne auch durch mobile Impfteams erreicht werden.
Die überfraktionell gebilligte Umschichtung des 2020 beschlossenen Corona-Notkredits trage die SPD mit und stehe damit zu ihrer Verantwortung, so Stegner weiter. Vor allem aber müsse die Unterstützung bei denjenigen ankommen, die sie am meisten bräuchten: den Familien. Diese hätten eine „enorme Belastung“ zu schultern. Besonders wichtig sei es, die Kitabeiträge weiterhin zu erstatten.
350 Millionen Euro können sofort fließen
Bei dem Notkredit in Höhe von 5,5 Milliarden Euro sind Umschichtungen und ein Vorziehen von Ausgaben vorgesehen. Demnach sollen bis zu 350 Millionen Euro, die bisher für Infrastrukturmaßnahmen in den Jahren 2029 und 2030 vorgesehen waren, schon im laufenden Jahr fließen können. Vier Abgeordnete stimmten dagegen.
Kritik äußerte Stegner an „Selbstlob und PR“ der Landesregierung. Das Krisenmanagement sei in Einzelpunkten hart zu kritisieren. Dass die Regierung bei der Vergabe von Impfterminen jetzt zu einem Einladungssystem übergehe, komme einige Monate zu spät. Auch durch die frühen und später zurückgezogenen Ankündigungen für Öffnungen in Gastronomie und Tourismus im Frühjahr habe die Regierung Vertrauen eingebüßt.
CDU: Impfstrategie eine Erfolgsstory
Der CDU-Politiker Koch zeigte sich durchweg zuversichtlich. Die Vorzeichen hätten sich grundlegend geändert. „Wir können mit Freude und erleichtert auf die Entwicklung der Zahlen gucken“, sagte er und hob in diesem Zusammenhang hervor, wie notwendig die bundesweit verbindliche Notbremse gewesen sei. Die aktuellen Öffnungsschritte seien ein „gewaltiger Fortschritt für arg gebeutelte Branchen“ wie Kultur, Gastronomie oder Hotellerie.
In Bezug auf Impfungen im Land sprach der CDU-Fraktionsvorsitzende von einer Erfolgsstory. Fast 40 Prozent der Menschen im Land hätten bereits eine Erstimpfung erhalten. Auch Schüler sollten mit der in Aussicht gestellten Zulassung des Biontech-Vakzins für Kinder ab zwölf Jahren bis zum Ende der Sommerferien durchgeimpft werden können. Mobile Impfteams nannte er eine „gute Idee“.
Die Umschichtung des Corona-Notkredits komme vor allem Kindern und Jugendlichen zugute, so Koch. So würden etwa 100 Millionen Euro als freiwillige Leistung in die Erstattung der Kitagebühren fließen. Die Umschichtung innerhalb des Notkreditvolumens sei deshalb notwendig, weil „kaum eine Woche vergeht, an denen neue Mittel gebraucht werden“.
Weitere Stimmen aus dem Plenum:
Der Abgeordnete vom AfD-Zusammenschluss im Landtag, Claus Schaffer,…
kritisierte erneut die Orientierung am Inzidenzwert zur Bewertung der Pandemielage. Dieser gebe keine Auskunft darüber, wo Infektionen auftreten, und dies führe zu einer Fehleinschätzung der Gefährdungslage. Er kritisierte, dass die Landesregierung sich nicht gegen die Änderung im Infektionsschutzgesetz gestellt habe, die er als „ungeheuerliche Verschärfung“ bezeichnete. Ein vernünftiges System müsse sich zum Beispiel am R-Wert, dem Impffortschritt und der Auslastung der Kliniken orientieren.
Der Abgeordnete Frank Brodehl (fraktionslos/LKR)…
forderte mit Blick auf sinkende Fallzahlen und darauf, dass umfangreiche Testungen von Schülern inzwischen möglich sind, die Maskenpflicht im Unterricht aufzuheben. „Die meisten Schüler haben das Gesicht ihrer Lehrer über ein Jahr lang nicht mehr gesehen“, sagte Brodehl. Aus psychologischer und pädagogischer Sicht müsse „damit endlich Schluss sein“, so der fraktionslose Abgeordnete. Test könnten bereits zu Hause durchgeführt werden.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Eka von Kalben,…
sagte, die derzeitige Lage verbreite „vor allem Hoffnung“. „Doch die Nachwirkungen der Corona-Krise werden uns auch begleiten, wenn die Inzidenzen gegen Null gehen“, so von Kalben. Die Umschichtung im Corona-Notkredit zeige, „wie nachhaltig uns Corona noch begleiten wird“. Denn die Mittel stammten aus dem IMPULS-Programm und seien eigentlich „für dringend nötige Investitionen in Infrastruktur“ vorgesehen gewesen. „Aber wir haben schlichtweg keine andere Wahl. Die Notkredite sind zwingend nötig“, so von Kalben weiter.
Mit Blick auf die hierzulande voranschreitenden Impfungen sagte sie, das Impfen müsse „international betrachtet und der Impfstoff weltweit verteilt werden“. Alles andere sei „nicht nur inhuman, sondern auch dumm“. Denn eine Pandemie lasse sich nicht nachhaltig bekämpfen, wenn es statt einer globalen Herden-Immunität einen durchlöcherten Impf-Flickenteppich gebe.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt
…regte an, sich zeitnah über weitere Öffnungsschritte Gedanken zu machen. Mittlerweile liege die Inzidenz landesweit unter 35. Das Infektionsschutzgesetz sehe vor, dass dies die rechtliche Grundlage für die verschiedenen Maßnahmen sei. „Das Öffnen des öffentlichen Lebens ist deutlich komplizierter als das Schließen“, so Vogt. Die Maßnahmen müssten logisch, möglichst fair, rechtssicher und aufeinander abgestimmt sein, damit sie Akzeptanz und Wirkung erzielen.
„Unser Bundesland ist sehr viel besser durch die Pandemie gekommen als andere“, sagte der Liberale. Entscheidend dafür sei im Rückblick vor allem, „dass wir immer schnell und konsequent reagiert und auf die Rechtssicherheit und Akzeptanz gesetzt haben“, so Vogt weiter. Es sei wichtig gewesen, sich mit einem breit aufgestellten Expertenteam zu beraten ‒ „und nicht nur auf einzelne Modellierer zu hören, die sich bei der dritten Welle offenkundig zum Glück massiv geirrt haben“.
Der Vorsitzende des SSW im Landtag, Lars Harms…
sagte: „Wir haben die Lage in der Grenzregion durchgängig mit Argusaugen verfolgt und stehen in ständigem Kontakt mit zahlreichen Familien und betroffenen Minderheitenangehörigen“. Landesregierung und Ministerpräsident hätten sich „verstärkt um Gespräche mit der dänischen Regierung bemüht und für Erleichterungen und ein gemeinsames Vorgehen im Grenzland geworben“. Künftig könnten etwa deutsche und dänische Gesundheitsbehörden und Krankenhäuser „noch enger und koordinierter über die Grenze hinweg zusammenarbeiten würden“, so Harms. Noch stünden dem oftmals unterschiedliche Organisationsstrukturen im Weg, so Harms.
Besonders dramatisch sei die Kulturarbeit der Minderheiten von der Pandemie
betroffen. „Hier braucht es dringend Unterstützung“, sagte der Friese mit Blick auf die grenzüberschreitende Kulturarbeit sowohl der dänischen und der friesischen Minderheit als auch der Sinti und Roma. Es gehe um den „Ausdruck ihrer kulturellen Identität“.
Die SPD-Abgeordnete Birte Pauls…
kritisierte scharf die Online-Vergabe von Impfterminen. Sie bezeichnete das Verfahren als „Lotterie“. Stattdessen plädierte sie für ein „Einladungsmanagement“, wie es in anderen Bundesländern üblich sei. „Sie haben mit der Angst der Menschen gespielt“, warf sie der Landesregierung vor.
Jörg Nobis (Zusammenschluss der AFD) …
kritisierte, die Regierungskoalition nutze die Corona-Notkredite dafür, eigene Themen voranzubringen, „die mit Corona wenig bis nichts zu tun haben.“ So plane Jamaika 15 Millionen Euro für Radwege und zwei Millionen Euro für Maßnahmen politischer Bildung auszugeben.
Finanzministerin Monika Heinold (Grüne)…
schaute optimistisch nach vorne. Sie sei dankbar für die vielen Anträge zur Bewältigung der Corona-Krise. Das zeige die Demokratie und gute parlamentarische Arbeit. Sie kündigte für die kommenden Wochen einige Entscheidungen an. So werde es Öffnungen für Kultur, außerschulische Bildung und Hallensport im Innenbereich an.
Die Landesregierung wolle nun „richtige Impulse, schnell und nachhaltig setzen“, erklärte Heinold weiter. Damit große Herausforderungen weiter gestemmt werden können, bräuchte man jetzt mehr Flexibilität im Rahmen. Wichtig sei ihr, dass es nicht zu einer Erhöhung der Kreditermächtigung komme, sondern Möglichkeiten durch Umschichtung geschaffen werden. Es sei gut, künftig auch auf nicht abgegriffene Mittel sowie 350 Millionen Euro aus der Impuls-Rücklage für spätere Jahre zugreifen zu können. Diese Mittel müssten aber zweckgebunden eingesetzt und später wieder aufgefüllt werden. „Ziel ist, so wenig wie möglich, aber so viel wie notwendig auszugeben, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen und Impuls beizubehalten“, so Heinold.
Heinold vertrat Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der wegen eines Infektes abgesagt seine Teilnahme am Sitzungstag hatte und seine Amtsgeschäfte am Freitag wieder aufnehmen will, wie ein Regierungssprecher sagte.
Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP)…
erklärte, dass der bisher zur Verfügung stehende Impfstoff sehr schnell an Menschen, die impfberechtigt sind, verimpft worden seien. Es fehlten aber weiterhin große Impfmengen. Auch im kommenden Monat bleibe die vom Bund zugesagte Impfstoffmenge gleich und erhöhe sich nicht, sagte Garg und gestand ein: „Wir werden miteinander auch über den Sommer erleben, dass mit der Aufhebung der Priorisierung die Probleme bei weitem nicht kleiner werden“. Zumindest für Juni sei nicht genug Impfstoff vorhanden. Aber, so der Minister: „Was wir tun können, werden wir tun.“
Abstimmungen
Grenzland:
19/2942: Überweisung in Europa-Ausschuss
19/2957: Überweisung in Europa-Ausschuss,
19/3022: Überweisung in Europa-Ausschuss
Notkredit:
19/2960(neu): angenommen bei 4 Gegenstimmen
Kita-Gebühren:
19/2963: abgelehnt gegen SPD u. SSW
19/3025: angenommen gegen Opposition
Mobile Impfteams:
19/2964: abgelehnt gegen SPD u. SSW
19/3024: angenommen bei 1 Enthaltung und 4 Gegenstimmen
Inzidenzwert / Grundrechte:
19/2966, abgelehnt
Schulen sichere Orte:
19/2984: abgelehnt
Maskenpflicht:
19/2990: abgelehnt
Kurzarbeit:
19/2930: Ablehnung (des Antrags 19/2882)