Im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages sitzen die Abeordneten im Rund. Die im Hintergrund zu sehende Tribüne ist nur spärlich besetzt.
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Foto: Michael August
Mit einem Entschließungsantrag will Schleswig-Holstein auf den letzten Drücker Änderungen an der geplanten Corona-Notbremse des Bundes erreichen. Fraktionsübergreifend kritisch steht der Landtag vor allem den geplanten pauschalen Ausgangsbeschränkungen bei einer Inzidenz über 100 gegenüber. „Aber wir werden nicht den Vermittlungsausschuss anrufen, weil wir keine Verzögerung haben wollen“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in einer Sondersitzung des Landtags. Oppositionsführer Ralf Stegner, dessen SPD-Fraktion sich zu dem kurz vor der Tagung vorgelegten Antrag von CDU, Grünen, FDP und SSW enthielt, warf Günther vor: „Ankündigungen und Versprechungen Ihrer Landesregierung, die nicht erfüllt worden sind, haben zu Frust über die Zick-zack-Politik geführt“.
Laut Robert Koch-Institut wies Schleswig-Holstein am Dienstag mit 72,4 Infektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen bundesweit die niedrigste Inzidenz unter den Bundesländern auf. „Wir hätten in Schleswig-Holstein diese Änderung nicht gebraucht“, sagte Günther. Vor allem die Ausgangsbeschränkungen bereits ab einer Inzidenz über 100 bereiteten „erhebliche Bauchschmerzen“. Clusterausbrüche müssten anders bewertet werden als ein diffuses Infektionsgeschehen.
Bund soll sich um Impfstoff kümmern
Das Land sei nicht grundsätzlich gegen Ausgangssperren, sagte Günther. „Ab 100 halten wir sie aber nicht für angemessen.“ Das mache die Jamaika-Koalition in einem Entschließungsantrag zum Infektionsschutzgesetz deutlich. Günther kündigte zudem eine Protokollerklärung Schleswig-Holsteins in der morgigen Beratung des Bundesrates an.
Es sei bisweilen der Eindruck entstanden, „als brauchten die Bundesländer beim Corona-Management jetzt dringend die Hilfe des Bundes“, sagte Günther. Dies sei nur beim Impfstoff nötig. Es gebe bereits alle Möglichkeiten, gegen die Corona-Pandemie vorzugehen. Manchmal wundere er sich, wie wenig konsequent in anderen Bundesländern gehandelt werde.
Bundesgesetz macht Pandemie-Bekämpfung nicht leichter
„Es ist wichtig, dass Schleswig-Holstein seine Kritik an den Regeln formuliert“, sagte Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben. Menschen die Freiheit zu nehmen, ihre Wohnungen zu verlassen, dürfe nur das letzte Mittel sein. „Wir brauchen auch auf Bundesebene eine klare Strategie und keinen weiteren Notbehelf“, so von Kalben.
FDP-Fraktionschef Christopher Vogt bezeichnete die geplanten Ausgangsbeschränkungen als nicht zustimmungsfähig für die Liberalen. Denn: „Es gibt keinen größeren pauschalen Grundrechtseingriff.“ Überhaupt werde das Bundesgesetz die Pandemie-Bekämpfung nicht leichter machen, sondern an vielen Stellen komplizierter.
SPD erinnert an volle Intensivstationen
Für Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) muss der Schutz der Gesundheit weiter oberste Priorität haben. Israel zeige, dass die Corona-Zahlen einbrechen, wenn die Hälfte der Menschen eine Erstimpfung erhalten habe. Soweit könne Deutschland Ende Mai sein. „Unsere Verantwortung ist zu verhindern, dass in den sechs Wochen bis dahin die Intensivstationen überlaufen.“
Es ginge bei den Änderungen am Infektionsschutzgesetz nicht darum, den Ländern jede Regelungskompetenz zu nehmen. „Wir reden über eine Notbremse für Regionen, in denen der Inzidenzwert mit über 100 so hoch liegt, dass dringend etwas passieren muss.“ Ausgangsbeschränkungen setzten aber an der falschen Stelle an. „Es muss weiterhin möglich bleiben, am Abend die Enge der eigenen Mietwohnung zu verlassen, um sich die Beine zu vertreten.“, so Stegner.
Lars Harms vom SSW lehnte Bundesgesetz klar ab: „Wichtiger ist es, sich um die Menschen vor Ort zu kümmern, als diese Wortklauberei in dem Gesetz“, sagte er. Und der Abgeordnete Jörg Nobis vom Zusammenschluss des AfD sprach von einem „offenen Angriff auf den Föderalismus“. Der vorliegende Gesetzentwurf sei verfassungswidrig. Der Bund versuche, die Länder zu entmachten.
Fragen zum Schulunterricht
Bund und Länder wollen mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes einheitliche Regelungen im Kampf gegen die dritte Corona-Welle festschreiben. Die Notbremse soll am Mittwoch vom Bundestag beschlossen werden und nach einer Befassung der Länderkammer rasch in Kraft treten. Falls die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche pro 100.000 Einwohner – in einer Stadt oder einem Landkreis drei Tage hintereinander über 100 liegt, sollen jeweils die gleichen Regeln gelten.
Geplant sind dann Ausgangsbeschränkungen von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr. Joggen und Spaziergänge sollen bis Mitternacht erlaubt bleiben, allerdings nur alleine. Schulen sollen ab einer Inzidenz von 165 in den Distanzunterricht wechseln müssen. Geschäfte dürfen Kunden bei einer Inzidenz über 100 nur empfangen, wenn diese einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Steigt der Wert über 150, wäre nur noch das Abholen bestellter Waren (Click & Collect) erlaubt. Für Lebensmitteleinzelhandel, Apotheken und Drogerien gelten diese Einschränkungen nach wie vor nicht.
Noch unklar ist, wie Schleswig-Holstein mit den Regelungen der Notbremse zum Schulunterricht umgeht. Die seien eher eine Lockerung zu dem bisherigen Vorgehen Schleswig-Holsteins, sagte Günther. Noch im Laufe der Woche wolle die Koalition darüber entscheiden.
Aufstellung von Kandidaten für Landtagswahl erleichtert
Parteien müssen ihre Kandidaten für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein im kommenden Frühjahr nicht mehr in Präsenzveranstaltungen aufstellen. Mit den Stimmen von CDU, SPD, Grünen, FDP und SSW beschloss der Landtag in seiner Sondersitzung eine entsprechende Regelung. Hintergrund ist die anhaltende Corona-Pandemie.
Nach Angaben von CDU-Fraktionschef Tobias Koch sind neben Präsenzveranstaltungen damit auch dezentrale Veranstaltungsformen, Online-Elemente sowie Brief- und Urnenwahl möglich. Bereits Ende März hatte das Parlament eine entsprechende Änderung des Wahlgesetzes beschlossen. Voraussetzung ist, dass der Landtag mit Zwei-Drittel-Mehrheit das Abhalten herkömmlicher Wahlversammlungen wegen damit einhergehender Gefahren im Zuge einer schweren Katastrophe oder einer überregionalen epidemischen Lage für unzumutbar erklärt. Die Gesetzesänderung wird voraussichtlich aber erst Ende April in Kraft treten. Der Landtag könnte eine solche Feststellung aufgrund Corona deshalb erst Ende Mai in seiner nächsten Sitzung treffen.