CDU-Ministerpräsident Daniel Günther hält im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages eine Rede.
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Foto: Thomas Eisenkrätzer
Lockerungen für private Treffen und den Einzelhandel, Perspektiven für Tourismus und Gastronomie: Einen Tag nach dem Corona-Gipfel von Bund und Ländern hat Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) im Landtag eine Reihe von Schritten aus dem Lockdown angekündigt. Ab dem kommenden Montag, dem 8. März, sollen nicht nur private Treffen mit fünf Personen aus zwei Hausständen wieder möglich sein, auch der Einzelhandel darf wieder öffnen. Bis zu einer Ladenfläche von 800 Quadratmetern gilt die Regel: Ein Kunde pro zehn Quadratmeter. Diese Maßnahmen dürften aber nicht dazu führen, „dass wir glauben, wir seien in Sicherheit und uns könne nichts passieren“, mahnte Günther. Er rief die Menschen auf, weiter vorsichtig und achtsam zu sein.
Die Öffnung des Handels sei an eine stabile Corona-Inzidenz unter 50 geknüpft, so Günther. Am Tag der Debatte lag der Wert im Lande bei knapp 48. Steige der Wert über 50, müssten Händler ihre Kunden registrieren. Weitere Lockdown-Lockerungen: „Körpernahe“ Dienstleister wie Kosmetikstudios, Tattoo-Anbieter, Massagepraxen oder Sonnenstudios dürfen wieder öffnen, ebenso wie Fahrschulen. Kontaktfreier Sport soll im Außenbereich in Zehnergruppen möglich sein, bei Kindern bis 14 Jahre sogar mit 20 Teilnehmern. Über die Schüler ab Klasse 7 soll zu Beginn der kommenden Woche entschieden werden.
Niedrigster Inzidenz-Wert der Republik
Der Regierungschef stellte zudem eine Regelung für Gastronomie und Hotels bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 22. März in Aussicht. Es gebe seinerseits „keine Absage an Reisen zu Ostern“, betonte Günther. Hierzu hatten sich die gestrige Bund-Länder-Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin vorsichtiger geäußert. Sollte die Corona-Inzidenz im Lande Ende des Monats unter 100 liegen, werde auch die Außengastronomie am 22. März wieder öffnen können, bekräftigte dagegen Günther heute im Kieler Landtag. Ziel sei „immer mehr Normalität Richtung Sommer“.
Bund und Länder hatten am Vorabend einen Stufenplan mit Öffnungsschritten für die verschiedensten Bereiche beschlossen. Schleswig-Holstein hatte mit Stand Mittwochabend 47,7 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen. Das war der niedrigste Wert aller Bundesländer.
Stegner pocht auf norddeutsche Lösungen
Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) pflichtete Günther in Teilen bei, er hielt eine maßvolle Anpassung der Beschränkungen für vertretbar. Die Bund-Länder-Einigung vom Vorabend begrüßte Stegner im Grundsatz – die SPD habe einen solchen Perspektivplan „seit Monaten“ gefordert. Das Papier der Landechefs und der Bundeskanzlerin sei zwar „zu spät, kompliziert und teilweise widersprüchlich“, aber es sei „eine Basis“. Von der Landesregierung forderte er künftig eine bessere Kommunikation, insbesondere im Schulbereich.
Der SPD-Fraktionschef mahnte erneut eine enge Absprache mit den norddeutschen Nachbarn an: „Wir kriegen Riesenprobleme, insbesondere in der Metropolregion, wenn auf der einen Seite der Straße etwas Anderes gilt als auf der anderen.“ Bei Günthers Ankündigungen zum Tourismus habe er „große Bauchschmerzen“, so Stegner. Er warnte vor einem schleswig-holsteinischen Alleingang und erinnerte an den Appell an die Menschen, auf nicht zwingend notwendige Reisen zu verzichten.
Weitere Stimmen aus dem Plenum
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Tobias Koch…
… lobte das Verhandlungsgeschick der Landesregierung. Der schleswig-holsteinische Perspektivplan sei „der allererste Vorschlag für einen Stufenplan überhaupt“ gewesen, die Landesregierung sei somit ein „maßgeblicher Treiber“ des bundesweiten Stufenplans gewesen. „Ohne diese Blaupause aus Schleswig-Holstein würden wir uns vermutlich immer noch von Konferenz zu Konferenz hangeln“, sagte Koch. Bis auf den Tourismusbereich ließen sich in den nächsten drei Wochen alle Öffnungsschritte umsetzen, die die Landesregierung am vergangenen Freitag in der Landtagstagung vorgeschlagen und angekündigt hatte, etwa die Öffnung des Einzelhandels, der Außengastronomie oder im Bereich der Sportangebote.
„Die Gefahr einer dritten Welle ist unverändert latent vorhanden“, mahnte Koch. Deshalb sei es nur konsequent und richtig, wenn einzelne Öffnungsschritte auch wieder zurückgenommen würden, sollte die Inzidenz erneut steigen. „Die jetzt angekündigten Öffnungen dürfen deshalb nicht als Signal verstanden werden, nachlässig zu werden“, so der Christdemokrat. Die Pandemie sei noch nicht vorbei. Nach nur drei aufeinanderfolgenden Tagen mit einer Inzidenz von 50 „fallen wir den ersten Öffnungsschritt zurück“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende.
Der Grünen-Abgeordnete Lasse Petersdotter…
… vertrat die Fraktionsvorsitzende Eka von Kalben, die sich aktuell nach einem Kontakt mit einer positiv getesteten Person freiwillig in Quarantäne begeben hat. Der Grüne kritisierte, dass der bundesweite Stufenplan allein die Inzidenzwerte in den Blick nimmt. Ein Inzidenzwert von 50 oder 100 als Parameter reiche nicht aus. Besser habe das der Stufenplan der Landesregierung gelöst. Hier, so Petersdotter, sei etwa der „dynamische Faktor“ mitberücksichtigt worden. Dieser nehme neben dem R-Wert auch weitere Zahlen etwa zur Auslastung der Intensivbetten, zu Clusterausbrüchen im Land sowie die Impf- und Testquoten in den Blick.
Petersdotter äußerte sich zudem kritisch zu Medienberichten, die in den letzten Tagen einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten von Menschen mit Migrationshintergrund und der Entwicklung der Pandemie in den Raum gestellt hatten. Es sei „brandgefährlich, einer Minderheit die Verantwortung zuzuschieben“, so Petersdotter. Wenn überproportional viele Menschen einer bestimmten Gruppe erkrankten, müsse stattdessen Ursachenforschung betrieben werden, sagte der studierte Islamwissenschaftler. Menschen mit Migrationshintergrund befänden sich häufig in prekären Lebens- und Beschäftigungsverhältnissen. „Sie sind die, die Pakete bringen oder Menschen pflegen“, sagte der Grüne.
Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christopher Vogt,…
…zeigte sich zufrieden mit den Ergebnissen der Verhandlungen von Bund und Ländern. „Wir haben jetzt einen brauchbaren Orientierungsrahmen“, so Vogt. Wichtig sei es nun, vorsichtig zu bleiben und stärker zu differenzieren. Es müsse eine Spaltung in der Gesellschaft verhindert werden. Dabei sei vor allem die Akzeptanz der Maßnahmen wichtig. „Ein Lockdown, bei dem nicht alle mitmachen, bringt nichts“, gab der FDP-Mann zu bedenken. Sein Appell: Mehr impfen, mehr testen, mehr digitale Datenübermittlung – vor allem wenn es um die Kontaktnachverfolgung geht.
Positiv hob Vogt hervor, dass nun Perspektiven für Kinder und Jugendlichen geschaffen worden seien – auch mit Aussicht darauf, draußen wieder Sport machen zu können. Im Einzelhandel seien die angekündigten Öffnungsschritte besonders für die kleinen Betriebe „eine gute Nachricht“. Die Schattenseite sei, so Vogt, dass es für den Tourismus und die Veranstaltungsbranche „noch keinen echten Perspektivplan“ gebe.
Lars Harms, Vorsitzender des SSW im Landtag…
…sagte zu der vorgestellten Öffnungsstrategie: „Da ist schon viel drin von dem, was uns die Experten geraten haben – das begrüßen wir.“ Besonders freue er sich darüber, dass der Einzelhandel öffnen könne und dass es „eine theoretische Perspektive für die Gastronomie“ gebe. Auch Sport zuzulassen sei wichtig. „Das hat eine riesige soziale Funktion“, so Harms. „Bauchschmerzen“ bereite ihm, die Maßnahmen weiterhin „rein an der Inzidenz zu orientieren“. Davon müsse man auch abweichen können, insbesondere dann, wenn mehr getestet wird. Außerdem sprach der SSW-Chef im Landtag sich für mehr Studien aus, um herauszufinden, „wo sich die Leute anstecken“.
Jörg Nobis (AfD-Zusammenschluss)…
…wiederholte Forderungen aus vorherigen Debatten. So appellierte er erneut an die Landesregierung, das regionale Infektionsgeschehen mehr in den Blick zu nehmen und sich nicht ausschließlich an Inzidenzwerten zu orientieren. „Die Inzidenz kann nicht der einzige Wegweiser für den Pandemieverlauf sein“, mahnte Nobis. Er warf der Landesregierung vor, den „Schlingerkurs der vergangenen Wochen“ fortzusetzen und sprach von „Mutlosigkeit“.
Frank Brodehl (fraktionslos)...
...hielt der Politik vor, die „immensen Nebenwirkungen der Maßnahmen aus den Augen verloren“ zu haben. Die Menschen hätten „die Nase voll“. Mehrheitsfähig wären Maßnahmen, so Brodehl, „die auch ohne Bevormundung auskommen“.
Anträge
In der Debatte mitberaten wurden zwei Schulanträge zum Thema Unterstützungsmaßnahmen. Der Ursprungsantrag der SPD wurde abgelehnt, einen Alternativantrag der Koalitionsfraktionen nahm der Landtag mehrheitlich an. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Antrag der Abgeordneten des Zusammenschlusses der AfD mit der Überschrift „Eine Perspektive für ganz Schleswig-Holstein“.