Der Landtag ist im Plenarsaal zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Zahlreiche Kameralteams nehmen das Geschehen im Plenarsaal auf. Am Mikrofon steht SPD-Fraktionschef Stegner.
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Foto: Michael August
Nach dem Bund-Länder-Gipfel vom Vortag hat Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in einer Sondersitzung des Landtages eine Reihe von Öffnungsschritten für Schleswig-Holstein angekündigt. Zoos, Wildparks, Gartencenter und Blumenläden sollen zum 1. März öffnen. Gleiches gelte für Sportanlagen für den Individualsport auch im Innenbereich sowie neben Frisören auch für Nagelstudios. Praktische Fahrschulstunden für die Berufsausbildung sollen ab 22. Februar möglich sein. Die SPD begrüßte dies, sieht aber Spannungen in der Jamaika-Koalition
Bereits am Vorabend hatte Günther verkündet, dass Kitas und Grundschulen ab dem 22. Februar in den Regelbetrieb gehen sollen. Ausgenommen sind voraussichtlich die Kreise Pinneberg und Herzogtum Lauenburg sowie die Städte Lübeck und Flensburg, wegen der dortigen hohen Corona-Zahlen. Eine Entscheidung über diese Regionen fällt voraussichtlich am 15. Februar. Diese Maßnahmen seien „mit Augenmaß“ beschlossen worden, so der Regierungschef, und sie könnten notfalls auch wieder einkassiert werden.
„Wir hätten uns das verbindlicher gewünscht“
Zum Ergebnis des Spitzentreffens vom Vorabend äußerte Günther sich verhalten. Die Ministerpräsidentenkonferenz habe zum ersten Mal „nicht nur den nächsten Schritt definiert“, so Günther, aber „wir hätten uns das alle verbindlicher gewünscht“. Laut Beschluss soll der Einzelhandel bei einer Inzidenz unter 35 öffnen können. „Wir sind in Schleswig-Holstein in sechs Landkreisen bei 35 und weniger“, betonte der Ministerpräsident: „Es ist nicht abwegig, dass wir es auch schaffen können, in nächster Zeit diese Schritte zu gehen.“ Schleswig-Holstein habe die Chance, den eigenen „Perspektivplan“ im Lande umzusetzen.
Günther kritisierte die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli, ohne deren Namen zu nennen. Diese hatte sich in einem Interview gegen Lockerungen noch im Februar ausgesprochen. „Wo steht die SPD in Schleswig-Holstein zum Datum 22. Februar?“, fragte Günther.
SPD fordert norddeutsche Geschlossenheit
Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) begrüßte die geplanten Öffnungen von Kitas und Grundschulen „ausdrücklich“ und verwies im Gegenzug auf Spannungen zwischen den Koalitionspartnern FDP und Grüne. Das Gipfel-Ergebnis sei „bescheiden“, und vom schleswig-holsteinischen „Perspektivplan“ sei wenig übriggeblieben, so Stegner: „Die Abteilung Selbstlob hilft einem da nicht weiter.“
Er rief die Landesregierung auf, „schnellstmöglich eine Verständigung der norddeutschen Länder“ zu erreichen. Insbesondere die Konzepte des SPD-geführten Niedersachsen seien eindeutig besser als die Kieler Pläne. Für sie Schulen forderte Stegner eine „Testungsoffensive“ sowie Schutzkonzepte, die das Tragen von Masken und das Lüften regeln. Und: Es müsse schneller geimpft werden, die derzeitige Geschwindigkeit sei eine „Schande“.
Weitere Stimmen und Meinungen
Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Tobias Koch…
… sprach nach mehr als drei Monaten Lockdown von einer „existenziellen Situation“ für viele Menschen. Ihn erreichten tagtäglich „eine Fülle von Anrufen und E-Mails mit immer besorgteren und dramatischeren Botschaften“, so Koch. Der Lockdown dürfe darum „nicht länger dauern, als unbedingt notwendig“. Den Stufenplan, den die Landesregierung im Januar erarbeitet hatte, nannte er „einen Erfolg“. Mit dem gestrigen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz sei die Stufenlogik „nun fest verankert und aus zukünftigen Beschlüssen auch nicht mehr wegzudenken“. Der Lockdown werde damit nicht einfach um drei Wochen verlängert, sondern es würden gleichzeitig „auch Perspektiven für erste Öffnungsschritte aufgezeigt“, so Koch.
Mit Blick auf die britische Virusmutation, die in Schleswig-Holstein vermehrt aufgetreten ist, sagte der CDU-Mann: „Die Politik steht damit vor einem schwierigen Entscheidungsdilemma. Öffnen wir jetzt auf einen Schlag zu viel, dann lösen wir damit möglicherweise die nächste Infektionswelle aus. Öffnen wir zu vorsichtig, dann gibt es möglicherweise insolvenzbedingt immer weniger, was sich später überhaupt noch öffnen lässt.“ Bei niedrigen Infektionszahlen sei zudem das Unverständnis über weitere Schließungen bei allen Betroffenen groß, was die Akzeptanz aber auch die Rechtssicherheit der Maßnahmen gefährde.
Der Grünen-Abgeordnete Lasse Petersdotter…
… betonte mit Blick auf die Corona-Aktivitäten von Jamaika: „Das Ziel ist es, eine Orientierung zu geben, eine Perspektive und einen Plan.“ Inzidenzwerte gäben „eine gewisse Orientierung“, die einerseits Öffnungen ermögliche, andererseits aber „bei Verschlechterung auch die Chuzpe zu haben, Schließungen durchzuführen, auch wenn es unpopulär ist“, so Petersdotter. Der Perspektivplan sei allerdings kein Automatismus und ersetze weder öffentliche Debatten, noch parlamentarische Entscheidungen.
„Die Öffnungen für Kita und Grundschule sind ein wichtiger Schritt“, sagte der Abgeordnete mit Blick auf die Situation in den Familien und das Grundrecht auf Bildung. Dennoch werfe auch dieser Schritt neue Fragen auf, etwa ob Lehrer und Erzieher bevorzugt geimpft werden sollten. „Sollen die über 65-Jährigen zuerst geimpft werden oder die Erzieher?“, fragte Petersdotter. Solange der Impfstoff eine sehr begrenzte Ressource sei, müsse mit solchen Widersprüchlichkeiten und Zielkonflikten gerechnet werden.
FDP-Fraktionschef Christopher Vogt…
… kritisierte, dass ein bundesweiter Stufenplan nicht zustande gekommen sei. „Dass nichts vorliegt, ist ein problematisches Signal“, so Vogt. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Maßnahmen nehme ab, wenn sich das Kanzleramt nicht an Vereinbarungen halte. „Wenn auf Bundesebene nichts kommt, dann müssen wir einen eigenen Weg gehen“, sagte der Liberale an Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) gerichtet. Dass der angestrebte Inzidenzwert von 50 durch 35 ersetzt worden sei, nannte Vogt „psychologisch und rechtlich schwierig“. Zudem warnte er, dass die Sorge vor Virus-Mutationen zunehmend zu einer Beweislastumkehr führen könne: „Grundrechtseinschränkungen müssen begründet werden, nicht die Rückgabe.“
Die Impfstoffbestellungen der EU kritisierte Vogt erneut als „zu knauserig“. Die Verantwortlichen sollten ihre Fehler zugeben, „statt sie zu leugnen und schönzureden.“ Zudem forderte der Liberale eine globale Impfstrategie. Für die Menschen hierzulande sei die Situation „schlimm“, aber Menschen in Entwicklungsländern litten infolge der Weltwirtschaftskrise, die die Pandemie ausgelöst habe, unter „massiver Verarmung und Hunger“.
Der Vorsitzende des SSW im Landtag, Lars Harms…
…sprach von einer „riesen Enttäuschung“. Es sei ein Fehler, „dass es keine Öffnungsperspektive gibt“. Stattdessen sei bei den Bund-Länder-Gesprächen „nichts“ herausgekommen, „zumindest nichts Neues“, so Harms. Statt Perspektiven würden zum Teil schärfere Maßnahmen angekündigt.
Warum bei der später geplanten Öffnung des Einzelhandels nur noch eine Person pro 20 Quadratmeter zulässig sein soll, statt wie vor dem Lockdown eine Person auf zehn Quadratmetern, sei nicht zu erklären und könne „für einige Betriebe eine Katastrophe sein“. Solche Regeln seien „weltfremd“, kritisierte der SSW-Abgeordnete. Positiv bewertete er, dass die Schulen als erstes wieder öffnen sollen und auch wieder Sportangebote erlaubt werden.
Jörg Nobis vom Zusammenschluss der AfD…
…nannte die Verlängerung des Lockdowns „empathiebefreit“. Der „ambitionierte Perspektivplan“ sei am „Betonkopf der Kanzlerin“ gescheitert. Nobis kritisierte vor allem die Auswirkungen des Lockdowns auf Kinder, die zunehmend unter psychischen Problemen litten.
Zudem würden viele Menschen um ihre Existenz bangen. Der AfD-Mann warf der Regierung vor, sich verrannt zu haben und nicht in der Lage zu sein, Fehler einzugestehen. Es fehle eine „klare Perspektive“. Seine Forderung an die Landesregierung: „Stimmen Sie die Maßnahmen auf das lokale Infektionsgeschehen ab.“
Der fraktionslose Abgeordnete Frank Brodehl bezeichnete die derzeitigen Corona-Maßnahmen als „unmenschlich“. Es seien bereits „irreparable Kollateralschäden“ entstanden.
Haushalt: Dritte Lesung vorbereitet
Im Anschluss an die Aussprache bewilligt das Plenum Ergänzungen im Haushaltsbegleitgesetz und überwies die neue Version wieder zurück an den Ausschuss. Zuvor hatten die Finanzexperten im Rahmen des Selbstbefassungsrechts des Ausschusses zu den von der Landesregierung Ende Januar vorgeschlagenen Ergänzungen des Haushaltsbegleitgesetzes die kommunalen Landesverbände sowie die Landwirtschaftskammer angehört und sich am 11. Februar mit den Ergänzungen befasst.
Die dritte und damit finale Lesung ist in der regulären Februar-Tagung (24. bis 26.) geplant.