Im Kampf gegen Corona kommen weitere „harte Wochen“ auf die Menschen zu, und das liegt insbesondere an den neuen Virus-Mutationen. Diese Erkenntnis sei für ihn ein „Frusterlebnis“ gewesen, bekannte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) heute in einer Regierungserklärung vor dem Landtag. Das Parlament hatte nach der gestrigen Bund-Länder-Konferenz eine Sondersitzung anberaumt. Wie Günther warnte auch Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) davor, angesichts der zurückgehenden Infektionszahlen Entwarnung zu geben. Virus-Mutationen seien auch in Schleswig-Holstein bereits nachgewiesen worden. Günther kündigt mehr Transparenz und Erleichterungen für Familien an, Stegner fordert eine „Inzidenz-Ampel“.
Die Mutationen seien der Hauptgrund dafür gewesen, dass sich die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin am Vorabend auf eine Verlängerung der Pandemie-Maßnahmen bis zum 14. Februar verständigt hätten. Wenn in Großbritannien und Irland Inzidenzen innerhalb von Wochen auf über 1.000 hochgingen, dann gebe es „allen Grund, um extrem vorsichtig zu sein“, so Günther. In Schleswig-Holstein lag der Sieben-Tage-Wert am Morgen der Debatte bei 89. „Wir wollen möglichst nach Ostern Schritte in die Normalität möglich machen“, so Günther, aber das sei „mitnichten eine Selbstverständlichkeit“.
Impfstoff geht derzeit nicht aus
Um die Corona-Politik transparenter zu gestalten, wollen Bund und Länder konkrete Standards für den Rückbau der Einschränkungen erarbeiten, unterstrich der Regierungschef: „Bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz haben wir einen Perspektivplan, haben wir einen Stufenplan.“ Darauf habe er besonders gedrängt. Günther verteidigte die Schließungen von Schulen und Kitas. Zugleich kündigte er an, dass Eltern auch weiterhin keine Beiträge zahlen müssten, solange es keine Betreuungsangebote gebe. Eine Lockerung soll es bei den Kontaktbeschränkungen geben: Kinder unter drei Jahren sollen nicht mehr mitzählen, wenn sich Menschen aus verschiedenen Haushalten treffen. Zudem gehe das Impfen im Lande rasch voran, unterstrich Günther: „Wir sind deutschlandweit extrem schnell unterwegs.“ Und: „Der Impfstoff geht bei uns im Moment nicht aus.“
Nach den Beratungen von Bund und Ländern am gestrigen Dienstag plant die Landesregierung Corona-Verschärfungen in einigen Bereichen. In öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften werden sogenannte OP-Masken oder Mund-Nase-Bedeckungen der Standards KN95/N95 oder FFP2 zur Pflicht. Außerdem sollen mehr Schleswig-Holsteiner im Home-Office arbeiten. Zudem wird der gegenwärtige Lockdown bis zum 14. Februar verlängert – das heißt, Restaurants und Bars, Freizeiteinrichtungen, Theater, Kinos sowie der Einzelhandel bleiben weiter geschlossen, private Kontakte reduziert und Kitas und Schulen weitgehend geschlossen.
Stegner fordert langfristige Strategie
Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) stellte sich im Grundsatz hinter die Bund-Länder-Beschlüsse, forderte aber Nachbesserungen beim Corona-Management des Landes. Stegner sprach sich erneut für eine „Inzidenz-Ampel“ aus, mit einem festgelegten Maßnahmenkatalog je nach Pandemie-Heftigkeit. Die Politik müsse eine „Strategie für die kommenden Monate“ liefern, „die nicht gleich in der kommenden Woche über den Haufen geworfen wird“. Ansonsten drohe die Akzeptanz in der Bevölkerung verloren zu gehen.
Außerdem will die SPD Kinder unter zwölf Jahren bei den Kontaktbeschränkungen nicht mitzählen. Stegner begrüßte den Plan, künftig FFP2-Masken im Einzelhandel und im Nahverkehr vorzuschreiben. Der Staat müsse jedoch sicherstellen, dass auch diejenigen Masken zur Verfügung gestellt bekämen, die sie sich nicht leisten könnten.
Koch: Schleswig-Holstein beim Impfen „spitzenmäßig“
Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Tobias Koch, fragte mit Blick auf die rasante Entwicklung der Infektionszahlen in Irland und Großbritannien in den vergangenen Wochen: „Schaffen wir es, diese Entwicklung in Deutschland zu verhindern oder reagieren wir erst, wenn sich auch bei uns die Situation dramatisch verschärft hat?“. Die aktuelle Situation sei vergleichbar mit der von Ende Oktober. Wie damals gingen die Infektionszahlen in Frankreich und Belgien dramatisch nach oben, sagte Koch. So habe in Irland die Corona-Inzidenz zum Jahreswechsel noch unterhalb der deutschen Werte gelegen, um dann innerhalb von nur elf Tagen auf über 900 im ganzen Land hochzuschnellen.
Angesichts solcher Zahlen plädierte Koch dafür „Gefahren zu vermeiden und Vorsorge zu betreiben“. Anlass zur Freude bestehe vor dem Hintergrund, „weil die Geschwindigkeit, mit der wir in Schleswig-Holstein impfen, bundesweit spitzenmäßig ist“, so Koch. Das Gesundheitsministerium habe dafür gesorgt, dass für die zweite Impfung Reserven gebildet worden seien. Trotz Lieferverzögerung beim Impfstoff von BioNtech, könnten alle bislang geimpften Senioren in Schleswig-Holstein planmäßig ihre zweite Impfung bekommen.
Grüne warnen vor Nachschärfungen im privaten Bereich
„Ich glaube nicht, dass wir im privaten Bereich noch weiter nachschärfen können. Wir müssen in anderen Bereichen besser werden“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen Eka von Kalben. Zu groß sei der Unterschied zwischen dem, was die Menschen privat dürften und was am Arbeitsplatz möglich sei. Diese „Schieflage“ sei für viele Menschen „nicht nachvollziehbar“. Um auf Akzeptanz zu stoßen, müssten die Maßnahmen konsequent, nachvollziehbar und gerecht sein, etwa durch den bundesweiten Stufenplan, der von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen worden ist.
Niemandem sei geholfen, so von Kalben, wenn nach einer monatelangen Totalschließung von Schulen, Kitas und Freizeitangeboten Familien am Ende seien, Eltern sich trennten, Schüler eine Klasse wiederholen müssten, Kinder sich nicht mehr sozial interagieren könnten und Ängste, Depressionen und Süchte zunähmen. „Das sind gesamtgesellschaftliche Folgen, die bei einer Abwägung von Schutzmaßnahmen auch berücksichtigt werden müssen,“ sagte die Grünen-Politikerin.
FDP: Diskussion muss in Parlamenten stattfinden
Der Fraktionsvorsitzende der FDP Christopher Vogt sagte mit Blick auf solche Abwägungen: „Wir können die Schraube nicht auf Verdacht völlig überdrehen. Nach fest kommt ab“. Die Menschen bräuchten ein „Licht am Ende des Tunnels“. Das Ziel müsse sein, mittels Impfung die Maßnahmen so schnell wie möglich kontrolliert zurückführen zu können, konstatierte der Liberale. Für die Verzögerung der Impfstofflieferungen habe er darum „kein Verständnis“. Zugesagte Liefermengen würden aufgrund des Umbaus eines Werkes in Belgien einfach nicht geliefert. „Was sind da für Verträge geschlossen worden“, fragte Vogt in Richtung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
„Wir dürfen keine dritte Welle riskieren“, so Vogt weiter. Die Möglichkeiten für genomische Sequenzierung müssten vorangetrieben und auch die Entwicklung in Dänemark im Blick behalten werden. Grenzpendler und Reiserückkehrer müssten konsequent getestet werden. Zwar brauche es dafür einer „bundesweiten, besser noch europaweiten Abstimmung“, aber die Ministerpräsidentenkonferenz könne eine Regelung auf Landesebene nicht ersetzen. Die Diskussion darüber müsse in den Parlamenten stattfinden.
SSW sieht gestrige Entscheidungen kritisch
Lars Harms (SSW) warnte davor, die Corona-Maßnahmen immer wieder kurzfristig zu verschärfen, ohne abzuwarten, wie sie sich auswirken. „Wir sollten uns an Absprachen halten“, mahnte Harms. Viele Leute wüssten nicht mehr, woran sie sind – „damit kratzen wir an der Akzeptanz“. Außerdem sprach er sich gegen „pauschale Verschärfungen“ aus, vielmehr müssten sie an das regionale Geschehen angepasst werden.
Die neue Pflicht, im Nahverkehr und im Einzelhandel medizinische Masken zu tragen, begrüße der SSW. Harms forderte die Landesregierung jedoch auf, diese kostenlos zur Verfügung zu stellen. Denn: FFP2- oder OP-Masken könne sich nicht jeder leisten. Beim Home-Office sei ein „guter Kompromiss“ gefunden worden. Der SSW-Mann appellierte an alle Arbeitgeber, das Arbeiten von zuhause möglich zu machen. Perspektiven wünsche er sich vor allem für Schulen und Kitas. „Da müssen wir am schnellsten handeln“, so der Vorsitzende des SSW im Landtag.
„Wohlklingende Worthülsen“
Für den Zusammenschluss der AfD sprach Jörg Nobis. Er warf Ministerpräsident Günther vor, in den vergangenen Monaten mit „wohlklingenden Worthülsen“ hantiert zu haben. Nobis sprach von „Hinhalten“, „Salamitaktik“ und „Versagen der Regierung“. Kein Mensch nehme die Erzählungen der Landesregierungen noch „für bare Münze“. Vielmehr hätten viele Menschen „von dieser Solidarität die Nase gestrichen voll“.
Der fraktionslose Abgeordnete Frank Brodehl, der vor wenigen Tagen bekanntgegeben hatte, sich der Partei „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR) angeschlossen zu haben, stellte in seiner Rede den Erfolg des bisherigen Lockdowns in Frage. Brodehl sprach von „wirkungslosen Maßnahmen“, deren Nutzen nicht bewiesen sei. Es sei „höchste Zeit umzukehren“, appellierte er an die Regierung. Nobis und Brodehl ernteten für ihre Reden viel Kritik von Rednern aller anderen Fraktionen, die in Kurzbeiträgen das Wort ergriffen hatten.
Der von der SPD vorgelegte Maßnahmenkatalog mit der geforderten „Inzidenz-Ampel“ wurde an den Sozialausschuss überwiesen, ein ähnlich lautender Antrag der Koalition bei zwei Gegenstimmen angenommen.