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7. Januar 2021 – Sondersitzung Januar

Günther appelliert an Vernunft: „Treffen Sie sich mit niemandem“

Auch der Norden beklagt eine wachsende Zahl an Corona-Toten. Ministerpräsident Günther wirbt deswegen für Disziplin in den kommenden drei Wochen. Im Landtag gibt es breite Unterstützung für den Regierungskurs.

Ministerpräsident Daniel Günther spricht zum neuen Lockdown.
Ministerpräsident Daniel Günther spricht zum neuen Lockdown.
© Foto: Thomas Eisenkrätzer

Im Kampf gegen das Coronavirus hat Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) die Menschen in Schleswig-Holstein um „erhebliche Disziplin“ gebeten. „Treffen Sie sich möglichst in den nächsten drei Wochen mit niemanden“, so Günther in einer Regierungserklärung vor dem Landtag. Es gehe jetzt darum, „alles Mögliche“ zu tun, um den Menschen im Lande ab Anfang Februar wieder eine Perspektive zu geben, warb der Regierungschef für die weitreichenden Einschränkungen, die ein Bund-Länder-Gipfel zwei Tage zuvor auf den Weg gebracht hatte. Ziel sei eine Sieben-Tages-Inzidenz von weniger als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Am Morgen der Debatte lag der Wert im Lande bei 79.

„Die Lage in den Krankenhäusern wird dramatischer“, mahnte Günther. Seit dem 1. Dezember habe sich die Zahl der Corona-Toten im Lande annähernd verdoppelt: „In den ersten neun Monaten der Pandemie hatten wir genauso viele Tote wie in den letzten fünf Wochen.“ Wenn die Zahl der Neuinfektionen drastisch gesunken sei, dann sollen als erstes die Kitas und die Schulen wieder geöffnet werden, kündigte Günther an. Auch Sportvereine und die Gastronomie hätten dann Aussicht auf Erleichterungen. „Aber bis Ostern wird das noch ein richtig schwieriger Prozess.“

Organisation der Impf-Termine in der Kritik

Beim Thema Impfen wehrte sich Günther gegen die Kritik der Bundes-SPD an einem angeblich verschleppten Impf-Start. Es sei „vorbildlich“ gewesen, das Vakzin europaweit zu bestellen. Für das Impfen im Lande kündigte der Regierungschef Nachbesserungen an: „Es wird ein Informationsschreiben aus dem Gesundheitsministerium geben“, das sich an alle Bürger, aber insbesondere an die über 80-Jährigen richte. Den Älteren kündigte er an: „Sie werden definitiv als erste drankommen, Sie werden in den Wintermonaten geimpft werden!“

Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) unterstütze „ausdrücklich die Prioritätensetzung“ der Landesregierung. Der Gesundheitsschutz habe „allererste Priorität, dazu gibt es keine verantwortbare Alternative.“ Es gebe zurzeit einen „Wettlauf“, um die Ausbreitung der zuerst in England aufgetretenen Corona-Mutation zu verhindern. Stegner kritisierte die Organisation der Notfallbetreuung für Kita-Kinder als zu bürokratisch. Er forderte, dass das Land die Kita-Beiträge nicht nur für den Januar übernimmt, sondern auch für weitere Monate, falls das Betreuungsangebot eingeschränkt bleibe. Und er prangerte die Organisation der Impftermine an: „Dieses Verfahren sorgt für enormen Frust und gefährdet die Impfbereitschaft.“

„Schnelltests eröffnen Perspektiven“

CDU-Fraktionschef Tobias Koch nannte den Jahresauftakt „eine Fortsetzung des Horrorjahres 2020“. Es gebe aber „Lichtblicke“, etwa das besonnene Verhalten der meisten Menschen über die Feiertage. Die Möglichkeit von Schnelltests in Apotheken und mobilen Teststationen eröffne neue Perspektiven, etwa für den Tourismus und einen eventuellen Osterurlaub im Lande. Auch Koch wies die Kritik an dem „vermeintlichen Impfdebakel“ als „Besserwisserei“ zurück. Die EU habe zwei Milliarden Dosen bei verschiedenen Anbietern geordert, „da kann doch niemand ernsthaft kritisieren, dass das auf europäischer Ebene passiert“. Ein „Impf-Nationalismus“ sei „das letzte was wir brauchen können“. Koch unterstrich, dass der Impf-Auftakt in Schleswig-Holstein besser gelaufen sei als im Bundesschnitt.

Stufenplan „möglichst für alle Bereiche“

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Eka von Kalben sagte: „Es ist richtig, den Lockdown bis Ende Januar zu verlängern. Hier hat der Ministerpräsident unsere volle Unterstützung.“ Aber es brauche endlich eine Strategie, eine „Art Leitfaden, an dem sich Lockerungen, Schließungen, Lockdown oder Shutdown orientieren“. Dafür brauche es einen Stufenplan „möglichst für alle Bereiche“. Schleswig-Holstein habe etwa bereits ein detailliertes Stufenkonzept für Kita, Schule und Veranstaltungen erarbeitet. „Das wäre durchaus eine gute Grundlage für ein bundesweit abgestimmtes Verfahren“, so von Kalben.

Dabei sei vor allem die Frage zu klären, welche Zahlen dabei berücksichtigt werden sollen. Die Hürden für eine verlässliche Strategie bei einem unbekannten Virus seien groß. „Aber wir sollten wirklich, auch um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten, alles dafür tun, da einen Schritt weiterzukommen“, so von Kalben.

Impfbereitschaft „erfreulich hoch“

FDP-Fraktionschef Christopher Vogt mahnte „dass das Lagebild derzeit nicht ganz eindeutig ist, auch was die mögliche Ausbreitung von Virusmutationen betrifft“. Dies bereite vielen Menschen und auch Experten zunehmend Sorge. Eine ganz besondere Herausforderung sei die Situation wie schon im Frühjahr für Familien. „Ich bin sehr dankbar, dass wir uns in der Koalition bei den Kontaktbeschränkungen immerhin auf eine Ausnahme für die familiäre Kinderbetreuung verständigen konnten“, so Vogt. Dennoch könnten Kitas und Schulen nicht allzu lang weitestgehend geschlossen bleiben.

Es müsse jetzt alles dafür getan werden, dass zeitnah mehr Impfstoff geliefert und die Impfkapazität erhöht werde. Anfang der Woche seien in Schleswig-Holstein 15.000 Impftermine in nur 24 Minuten vergeben worden. „Das zeigt, dass die Impfbereitschaft in Schleswig-Holstein erfreulich hoch zu sein scheint und dass die Terminvergabe funktioniert,“ so Vogt weiter. 

SSW sieht „Licht am Ende des Tunnels“

„Das Gesundheitssystem muss vor einem Kollaps bewahrt werden“, sagte Jette Waldinger-Thiering (SSW). Der SSW sei angesichts der Belastungen und Zumutungen dennoch kein Lockdown-Anhänger. Leider hätten die bisherigen Maßnahmen „nicht den gewünschten Effekt“ erzielt. Waldinger-Thiering nannte das sogenannte „Bewegungsverbot“, das in Landkreisen mit einer Inzidenz von über 200 gelten soll, „einen erheblichen Eingriff in die Bewegungsfreiheit und damit ins Grundrecht“.

„Aber wir sehen ein Licht am Ende des dunklen Tunnels.“ Die ersten Impfungen seien angelaufen, „wenn auch holprig“. Wo es hake, müsse nachgebessert werden, etwa bei den Anmeldewegen. Niemand, der geimpft werden wolle, dürfe „durch das Raster fallen, nur, weil die Anmeldekapazitäten zu gering sind“. Ein kompletter Systemwechsel aber, wie ihn die SPD-Fraktion gefordert habe, „lässt uns wertvolle Zeit verlieren“, so die SSW-Abgeordnete.

AfD spricht von Aktionismus und Symbolpolitik

Jörg Nobis vom Zusammenschluss der Abgeordneten der AfD war der Meinung, mit der Verlängerung des Lockdowns webe Günther am Leichentuch der Wirtschaft. Die Regierung handle planlos, betreibe Aktionismus und Symbolpolitik.

In den Kurzbeiträgen im Anschluss an die Debatte entbrannte eine emotionale Diskussion zum seniorengerechten Verfahren bei der Vergabe von Impfterminen, die etwa eineinhalb Stunden in Anspruch nahm. Über den SPD-Antrag zum Thema Impfstrategie und einen entsprechenden Alternativantrag der Koalitionsfraktionen berät der Sozialausschuss weiter. Der Antrag der Abgeordneten des AfD-Zusammenschlusses zur Bewegungsfreiheit wurde von den übrigen Abgeordneten geschlossen abgelehnt.

„Mit Vernunft und Weitblick handeln: Solidarisch und optimistisch in das Jahr 2021“ – so lautet der Titel der Regierungserklärung, mit der Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) dem Parlament zum Sitzungsauftakt am Donnerstag das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie darlegen will. Mindestens bis zum Ende des Monats müssen auch die Schleswig-Holsteiner mit verschärften Corona-Schutzmaßnahmen leben.

Der Lockdown gilt weiterhin für Schulen, Kitas, Geschäfte und Freizeiteinrichtungen. Es sei angesichts der hohen Infektionszahlen notwendig, in einigen Punkten nachzuschärfen, sagte Günther bereits am Dienstagabend nach einer Konferenz der Länder-Regierungschefs mit Kanzlerin Angela Merkel. Frühestens für Februar seien demnach erste Lockerungsschritte denkbar.

Weniger Kontakte, geschlossene Schulen

Künftig darf sich ein Haushalt privat nur noch mit maximal einer weiteren Person treffen. Schulen und Kitas müssen bis Ende Januar weitestgehend geschlossen bleiben oder nur eingeschränkten Betrieb anbieten. Es werde weiter lediglich eine Notbetreuung geben. Möglichkeiten für Unterricht in der Schule sind vorerst nur für Abschlussklassen vorgesehen.

Eine weitere Neuerung: Wenn in einem Kreis über 200 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen auftreten, soll der Bewegungsradius nach den Bund-Länder-Beschlüssen auf 15 Kilometer um den Wohnort begrenzt werden. Ein triftiger Ausnahmegrund sei etwa der Weg zum Job. Touristische Tagesausflüge stellen explizit keinen solchen Grund dar.

AfD will Bewegungsfreiheit erhalten

An diesem Punkt setzen die Abgeordneten des AfD-Zusammenschlusses an: Sie stellen sich gegen mögliche Bewegungsbeschränkungen und fordern die Landesregierung auf „weiterhin auf Maßnahmen zu verzichten, die eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Bürger Schleswig-Holsteins vorsehen“.

Die Wirksamkeit sei „weder erwiesen noch ersichtlich, der Grundrechtseingriff hingegen wäre weitreichend und unverhältnismäßig“, heißt es in ihrem Antrag dazu, der in der Debatte mitberaten wird.

SPD kritisiert Impfstrategie

Die SPD unterstützt die Verlängerung des Lockdowns, will aber erreichen, dass die Vergabe von Impfterminen anders geregelt wird. Diese Forderung wird ebenfalls mitdiskutiert. Der bisherige Start der Corona-Impfungen verlaufe „holprig“ und lasse „das notwendige Vertrauen in der Bevölkerung schwinden“, schreibt die SPD in einem entsprechenden Antrag. Sie fordert die Landesregierung auf, die Vergabe der Impftermine auf ein „Einladungsverfahren“ umzustellen und so „die Akzeptanz und die Effizienz der Impfstrategie“ zu steigern. Das derzeitige Anmeldeverfahren für einen Impftermin überfordere besonders die Älteren. Die Regierung müsse zudem darauf hinwirken, „dass auf Bundesebene alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die Anzahl der verfügbaren Impfdosen so schnell wie möglich“ zu erhöhen.

Bislang müssen sich Schleswig-Holsteiner im Internet oder über die Telefonnummer 116 117 für Impftermine anmelden. Am Dienstag waren die nächsten 15.000 Termine zur Erst- beziehungsweise Zweitimpfung nach Angaben des Gesundheitsministeriums binnen 24 Minuten vergeben.

Regierung weist Kritik zurück

In Medienberichten weist die Landesregierung die Kritik an der derzeitigen Impfstrategie zurück. Das Land habe gute Erfahrungen mit den Terminvereinbarungen gemacht, sagte Ministerpräsident Günther. Beide Varianten, also Anmeldungen und Einladungen, seien möglich. Unzufriedene werde es immer geben. Wenn man wochenlang keine Einladung bekomme und keine Möglichkeit habe, sich über Termine zu informieren, könne das auch frustrierend sein. In Schleswig-Holstein lebten allein 200.000 impfberechtigte Menschen über im Alter von über 80 Jahren.

Erst am 12. Januar ab 8 Uhr morgens können Schleswig-Holsteiner weitere Termine buchen. Zunächst sind über 80-Jährige, medizinisches Personal und Rettungskräfte an der Reihe. Die ersten 15 der 29 geplanten Impfzentren im Norden waren am Montag gestartet. Zuvor wurde seit dem 27. Dezember bereits in Altenheimen und Kliniken geimpft. Nach Ministeriumsangaben waren mit Stand Montag im Land etwa 11.000 Menschen gegen Covid-19 geimpft worden.

Planungssicherheit für Familien

Ein weiteres Anliegen der SPD, das sie in ihrem Antrag aufgreift, zielt auf eine bessere Unterstützung von Familien in der derzeitigen Lage. Eltern bräuchten „eine klare und verlässliche Regelung, wie es mit der Kinder- und Schulkindbetreuung weitergeht“. Die Forderung: „eine großzügige und unbürokratische Notfallbetreuung in Kitas und Schulen“ und die Übernahme „der Elternbeiträge für Kita und Schulkindbetreuung für die Zeit des Betretungsverbotes“.

Wie aus einer Mitteilung der Landesregierung am Mittwoch (6. Januar) hervorgeht, will das Land im Januar 2021 die Beiträge für Kita und Ganztagsbetreuung an Schulen erstatten. „Zur Entlastung der Eltern stellen wir rund 25 Millionen Euro zur Verfügung. Damit können wir den Januar beitragsfrei gestalten. Wir verbinden diesen Beschluss mit dem Ziel, die Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren“, erklärte Finanzministerin Monika Heinold dazu. Die Landesregierung gehe davon aus, dass für die Erstattung der Kita- und Ganztagsbetreuungsbeiträge an die Träger für einen Monat rund 25 Millionen Euro benötigt werden.

(Stand: 6. Januar 2021)

Vorherige Debatten zum Thema:

März 2020 (Regierungserklärung) 
April 2020 (Regierungserklärung) 
August 2020 (Regierungserklärung / Schulpolitik Corona) 
Oktober 2020 (Regierungserklärung, Verschärfungen) 
November 2020 (Regierungserklärung, Teil-Lockdown)

Juni 2020 (Familienpolitik Corona) 
Oktober 2020 (Zulassung Impfstoffe) 
Dezember 2020 (Impfstrategie)

Regierungserklärung

„Mit Vernunft und Weitblick handeln: Solidarisch und optimistisch in das Jahr 2021“
Bekanntmachung des Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages – Drucksache 19/2672

Anträge

Akzeptanz für die Impfstrategie und die Corona-Maßnahmen stärken
Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 19/2670

Sicherstellung zeitnaher Corona-Impfungen für Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein 
Alternativantrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP – Drucksache 19/2675

Bewegungsfreiheit in Schleswig-Holstein erhalten
Antrag des Zusammenschlusses der Abgeordneten der AfD – Drucksache 19/2674