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Foto: dpa, Oliver Berg
Mit ihrem „Perspektivplan“ setzt Schleswig-Holsteins Landesregierung ein bundesweites Signal für ein Wiederhochfahren des öffentlichen Lebens. Das Kabinett beschloss den mehrstufigen Plan am Vorabend der Landtagssitzung, Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) stellte ihn heute dem Parlament in einer Dringlichkeitsdebatte vor. Angesichts der für viele Menschen bedrückenden Corona-Situation sei es die Pflicht der Politik, „nicht nur Mut zu machen, sondern auch Perspektiven aufzuzeigen“, so Günther. Es gehe nicht darum, feste Termine zu nennen, und es gebe keinen Automatismus für Lockerungen, unterstrich der Regierungschef. Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) begrüßte den Plan.
Der Plan aus dem Norden soll in die Diskussion der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin einfließen, wenn es darum geht, eine Regelung für die Zeit nach dem 14. Februar zu finden. Der Plan ist an landesweite Inzidenzwerte gekoppelt. Treten binnen sieben Tagen weniger als 100 Fälle pro 100.000 Einwohner auf, dann sollen zunächst Kitas und Schulen öffnen. Bei Werten unter 50 und unter 35 sollen Friseure, Einzelhandel, Gastronomie und Sport folgen.
Härteres Vorgehen gegen Regelbrecher
„Wir sind nicht so naiv zu glauben, dass alles 1:1 auf Bundesebene umgesetzt wird“, betonte Günther. Er wolle aber bundesweit den Anreiz setzen, „gute Werte hinzubekommen“. Derzeit sei in mehreren Ländern trotz angespannter Corona-Lage immer noch zu viel erlaubt – an dieser Stelle solle der Plan für Einheitlichkeit sorgen.
Zugleich kündiget Günther an, dass Polizei und Ordnungsbehörden im Lande künftig strenger vorgehen werden, wenn Corona-Auflagen unterlaufen werden. Er habe kein Verständnis für diejenigen, „die auch nach neun Monaten Pandemie die Regeln immer noch nicht ernstnehmen“.
Unterstützung von der SPD: „War unsere Idee“
SPD-Fraktionschef Stegner erinnerte daran, dass seine Fraktion bereits im Herbst den Vorschlag für eine „Inzidenzampel“ unterbreitet habe. Gleichwohl sei es „gut, dass die Landesregierung jetzt darauf zurückgekommen ist“. Allerdings, so der Oppositionsführer im Landtag, sei es schwierig, die landesweiten Fallzahlen als Grundlage zu nehmen. Es werde kein Verständnis geben, wenn im Kreis Plön mit seinen bundesweiten Niedrigzahlen die gleichen Regeln gelten sollten wie in Pinneberg, dem Negativ-Spitzenreiter im Norden.
Grundsätzlich seien keine Erklärungen für Lockerungen nötig, sondern plausible Begründungen für Einschränkungen, sagte Stegner. Denn der Staat gewähre Grundrechte nicht nach Gutdünken, sondern müsse ihre Einschränkungen als konkrete Schritte faktenbasiert, verhältnismäßig und effektiv begründen können.
Grundzüge des „Perspektivplans“
Laut dem Perspektivplan sollen erste Lockerungen erfolgen, wenn die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche in einem Bundesland sieben Tage lang stabil unter 100 liegt. Dann sollen erste Öffnungen im Bildungsbereich erfolgen. Je nach Infektionsgeschehen sollen die Kitas am 15. Februar in den Regelbetrieb oder einen eingeschränkten Regelbetrieb gehen. In Grundschulen soll es ab dann Wechsel- oder Regelunterricht geben. Dann könnten auch Treffen von fünf Menschen aus zwei Haushalten und körpernahe Dienstleistungen (etwa bei Friseuren) möglich sein. Liegt die Inzidenz 21 Tage unter 100, ist Individualsport im Außenbereich erlaubt, und auch Zoos und Wildparks dürften wieder öffnen. Bleibt die Inzidenz sieben Tage stabil unter 50, könnte der Einzelhandel unter Auflagen wieder öffnen - das Gleiche gilt für die Gastronomie, kosmetische Fußpflege und Nagelstudios.
In Krankenhäusern und Pflegeheimen wäre wieder Besuch von zwei Personen gleichzeitig möglich. Liegt die Inzidenz 21 Tage lang stabil unter 50, könnten laut dem Plan Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätze wieder öffnen, in der Gastronomie gäbe es keine Beschränkung der Gästezahl mehr, Theater und Kinos würden für einzelne Schulkohorten öffnen. Der Besuch im Fitnessstudio wäre wieder möglich, wenn auch mit begrenzter Kapazität. Liegt die Inzidenz sieben Tage stabil unter 35, sollen Treffen von zehn Menschen mehrerer Haushalte möglich sein. Auch Bars und Kneipen dürften dann wieder öffnen. Gleiches gilt für Hallen- und Spaßbäder sowie Saunen. Theater, Kinos und Konzerthäuser würden wieder der Allgemeinheit offenstehen. Im Breitensport wäre Kontaktsport wieder erlaubt.
„Großes Signal“
Der CDU-Abgeordnete Hans-Jörn Arp betonte: „Wir haben Grundrechte den Menschen genommen aus Verantwortung für uns alle“ – mit gravierenden Folgen. Die finanziellen Folgen der Einschränkungen für die Wirtschaft „werden uns begleiten“, so Arp. Fünf Milliarden Euro neue Schulden habe das Land infolge der Corona-Krise gemacht. Viele Menschen hätten Angst. „Wir sind in der Psycho-Klinik“, so Arp. Darum sei das Signal, das von dem Stufenplan ausgehe, wichtig. „Niemals ging ein so großes Signal von diesem Saal aus“, lobte er den Entwurf der Landesregierung.
Denn „Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie“, zitierte der CDU-Politiker den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU). Die Botschaft sei klar: „Haltet euch an die Regeln und es wird euch besser gehen“. Mit Blick auf die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung und angesichts der Ausschreitungen in den Niederlanden in den vergangenen Tagen sagte Arp: „Wenn man uns als Demokratie nicht mehr folgt, kommen wir zu Verhältnissen wie in Holland. Jeder Tag, den wir länger im Lockdown bleiben, kostet die Wirtschaft Geld und die Politik Vertrauen“.
Vieles „sehr kompliziert“
„Noch immer ist kein Ende in Sicht“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Eka von Kalben mit Blick auf die andauernde Pandemie. Eine Langzeitstrategie, also einen Stufenplan, habe sie schon seit Langem und mehrfach gefordert. „Es hat vor allem deshalb so lange gedauert hat, weil viele Punkte schlichtweg sehr kompliziert sind“, so von Kalben. Der oppositionellen SPD-Fraktion warf sie in diesem Zusammenhang Vereinfachung vor: „Die SPD wollte eine Ampel, entstanden ist eine Straßenverkehrsordnung. Nur mit Ampeln würde der Straßenverkehr auch nicht funktionieren“.
Dennoch sprach sich die Grünen-Politikerin dafür aus, den Inzidenzwert auf sieben Tage als „Richtschnur“ zu nehmen. Dies sei „eingeübt und für viele nachvollziehbar“. Aber für sich allein betrachtet sei dieser Wert „schon jetzt unzureichend“. Der Ansteckungswert scheine gerade mit der mutierten Version eine Rolle zu spielen. Und die Anzahl der Menschen die geimpft sind, werde in Zukunft auch zu berücksichtigen sein. Der vorliegende Stufenplan richtet sich nicht nur nach Ansteckungsgeschehen, sondern auch nach dem Grad der Zumutung und dem Risiko der Ansteckung.
Wirtschaftliche Nebenwirkungen nicht ausblenden
FDP-Fraktionschef Christopher Vogt erklärte, der „massive Einschnitt in die Grundrechte“ dürfe kein Dauerzustand werden. Die Menschen brauchten Motivation. „Corona verschwindet nicht, deshalb brauchen wir die Perspektive für die Rückkehr zur Normalität“, so Vogt. Die Pandemie verursache soziale und wirtschaftliche Nebenwirkungen, die man nicht ausblenden könne. Er wünsche sich zwar bundesweite Regelungen, „wenn das nicht möglich ist, ist aber eine landesweite Lösung der richtige Ansatz“, betonte Vogt.
Wichtig sei, weitere Schritte „logisch, fair und sinnvoll“ zu gestalten. Der Liberale erklärte, Schnelltests zur Selbstanwendung könnten die Gesellschaft „richtig voranbringen“. Bei Reisen sollten Test und „konsequente Quarantäne“ statt Verbote Vorrang haben. Vogt begrüßte zudem, dass die Polizei künftig verstärkt Bußgelder gegen Verstöße aussprechen will, allerdings brauche es auch „mehr Aufklärung und eine gezieltere Ansprache“.
Warnung vor Ungleichheiten
Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende des SSW im Landtag, Lars Harms. Er warnte bei anstehenden Lockerungen davor, „Ungleichheiten zwischen Branchen und Gruppen“ zu schaffen. Das könne man den Menschen nicht mehr vermitteln.
Harms regte im Perspektivplan einige Verbesserungen an. So sei es bei körpernahen Dienstleistungen unverständlich, dass Friseure vor Nagelstudios öffnen dürften. Auch in der Gastronomie erschließe sich für ihn ein Unterschied zwischen Speisegastronomie oder anderen Gastronomen nicht, so Harms. Und: Eine Öffnung von kontaktarmen Sportarten sei richtig, aber auch für Mannschaftssportarten müsse das kontaktarme Training wieder möglich sein.
„Wir hören die Botschaft“
Jörg Nobis (Zusammenschuss der AfD) begrüßte grundsätzlich den Perspektivplan, die Ideen gingen „in die richtige Richtung“. Er appellierte aber an den Ministerpräsidenten, diesen auch einzuhalten. „Wir hören die Botschaft, erkennen die Absicht, begrüßen die Richtung, aber lassen Sie den Plan nicht wieder zum Rohrkrepierer werden“, mahnte Nobis in Richtung Regierungsbank.