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20. November 2020 – November-Plenum

Landtag verurteilt extremistische Anschläge

Zum Abschluss der November-Sitzung verurteilt das Landesparlament die jüngsten Anschläge von Islamisten und spricht den Opfern und deren Angehörigen ihr Mitgefühl aus.

Rosen liegen unter einem Einschussloch in einer Scheibe im Bereich des Tatorts einer Terror-Attacke in der Nähe einer Synagoge.
Rosen liegen unter einem Einschussloch in einer Scheibe im Bereich des Tatorts einer Terror-Attacke in der Nähe einer Synagoge.
© Foto: dpa, Matthias Schrader

Der Landtag hat sich vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge in Dresden, Paris, Nizza und Wien mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, mit aller Härte Extremisten zu bekämpfen und Rassismus und Antisemitismus sowie Islamfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Ein entsprechender Antrag der Jamaika-Koalition wurde gegen die Stimmen des Zusammenschlusses der AfD und der Abgeordneten Sayn-Wittgenstein angenommen. Ein Änderungsantrag der SPD, auch die sogenannte „negative Religionsfreiheit“ anzuerkennen, fand hingegen keine Mehrheit. Ein AfD-Papier zum politischen Islam wurde unter heftigster Kritik aller Fraktionen zurückgewiesen.

Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) verurteilte die Anschläge „auf das Schärfste“. Wer sich aggressiv und gewaltbereit gegen den Staat wende, sei ein Verfassungsfeind, egal aus welcher Richtung er komme, sagte sie. Diese Personen würden „konsequent und kompromisslos bekämpft“.

„Wir lassen uns nicht spalten“

Die Ministerin verwies besonders auf ein Landesprogramm gegen religiös-motivierten Extremismus. Wenn Angebote wie diese verbessert würden, verhindere das nicht nur Extremismus, sondern Terroranschläge. Gleichzeitig machte Sütterlin-Waack deutlich, eine Religion mit Terror gleichzusetzen sei „genauso menschenunwürdig wie der Terror selber“. Schleswig-Holstein bleibe ein vielfältiges und tolerantes Land, sagte sie und schloss mit den Worten: „Wir lassen uns unser friedliches Zusammenleben nicht zerstören, wir lassen uns nicht spalten.“

Auch Redner der Jamaika-Koalition rückten das Thema Prävention in den Fokus. Die SPD betonte, Islamisten und Rechtsextremisten hätten ein gleiches Strukturbild. Beide wollten die Gesellschaft spalten. Der SSW nannte Zahlen. Demnach gebe es in Deutschland aktuell 627 islamistische Gefährder, davon seien 320 Deutsche. Allerdings lebten viele im Ausland. Und: 54 islamistische Gefährder seien 2019 aus Deutschland abgeschoben worden.

Der Antrag der Abgeordneten des Zusammenschlusses der AfD wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Er werfe „verschiedenen Begriffe in einen Topf“, sei „infam und widerwärtig in schlimmster Form“, hieß es dazu aus dem Plenum.

Stimmen aus dem Plenum:

Tobias von der Heide (CDU)
Wir verurteilen Terroranschläge auf das Schärfste. Terroranschläge sind keine fernen Ereignisse. Wir haben auch konkret in Schleswig-Holstein Anknüpfungspunkte und Gefahren. Unser Schwerpunkt bleibt eine wirksame Prävention. Hass und Gewalt dürfen nicht unter dem Deckmantel der religiösen Gesellschaft getragen werden – da müssen wir wehrhaft sein.

Claus Schaffer (AfD)
Der politische Islam ist in all seinen Facetten inkompatibel mit unserer Verfassung und unseren Werten und steht ihr sogar feindlich gegenüber. Gefährder müssen abgeschoben werden. Eine bloße Überwachung schützt niemandem. Kinder und Jugendliche dürfen nicht an den politischen Islamismus verlieren.

Ralf Stegner (SPD)
Auch die jüngsten Angriffe sind Angriffe auf unsere freien Gesellschaften und das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft. Diese perfiden Gefährder gehören ins Gefängnis. Aber: Der Islam gehört zu Deutschland. Es ist entscheidend, dass wir diesen Teil unserer Gesellschaft vor Spaltung schützen. Wir lehnen Gewalt ab, egal von wem sie ausgeht oder wie sie begründet wird.

Lasse Petersdotter (Grüne)
Unsere Aufgabe muss es sein, den Tätern nicht auf dem Leim zu gehen. Und: Wir müssen unsere Strategien auf Wirksamkeit überprüfen. Die meisten Opfer von islamistischen Taten sind noch immer Muslime. Islamismus ist dezentral organisiert – dieser Franchise-Terrorismus macht es schwer, dagegen anzugehen. Wir dürfen die Szene genauso wie auch Einzelpersonen nicht aus den Augen lassen.

Jan Marcus Rossa (FDP)
Wir werden auch in der politischen Ausrichtung neue Wege gehen müssen, um der Gefahr von islamistischem Terror entgegenzutreten. Die aktuelle Bedrohungslage in Deutschland ist hoch. Das ist auch eine Konsequenz daraus, dass wir in den 1950er-Jahren Parallelgesellschaften zugelassen und Gastarbeiter ausgegrenzt haben.

Lars Harms (SSW)
Es wird in viele Länder abgeschoben. Für eine Abschiebung von Gefährdern ist es nicht notwendig, dass das Herkunftsland als sicheres Herkunftsland zu deklarieren. Wer noch hier ist, wird engmaschig beobachtet. Das gilt auch für die 70 rechtsextremistischen und den einen linken Gefährder. Worum es eigentlich geht ist, dass keine neuen radikalisierten Menschen dazukommen.

Schleswig-Holstein soll nach dem Willen der Jamaika-Koalition die Maßnahmen gegen religiös motivierten Extremismus überprüfen und gegebenenfalls weitere ergreifen. Dem Antrag von CDU, Grünen und FDP zufolge soll das Parlament die jüngsten islamistisch motivierten Terroranschläge in Dresden, Paris, Nizza und Wien aufs Schärfste verurteilen. „Die Anschläge sind ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und unsere tolerante und weltoffene Gesellschaft sowie eine Attacke gegen unsere Werte und die Freiheit in Europa“, heißt es in dem Papier.

Zwischen Islam und extremistischen Islamismus differenzieren

Hass und Gewalt dürften nicht unter dem Deckmantel der religiösen Auseinandersetzung in die Gesellschaft getragen werden. „Gleichzeitig bekräftigen wir das Recht eines Jeden, seine Grundrechte frei und ohne Angst vor schädlichen Folgen wahrzunehmen, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Religionsausübung und auf die Presse- und Medienfreiheit“, schreiben die Antragsteller. „Wir vermögen zwischen dem Islam als Religion und dem extremistischen Islamismus zu differenzieren.“

In Dresden hatte am 4. Oktober ein als Gefährder eingestufter Syrer mit einem Messer einen Mann tödlich und einen weiteren Mann schwer verletzt. In Paris wurde ebenfalls im Oktober ein Lehrer von einem mutmaßlichen Islamisten enthauptet, in Nizza drei Menschen von einem weiteren Gewalttäter in einer Kirche getötet. In Wien erschoss Anfang November ein Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat vier Menschen und verletzte mehr als 20 weitere. Nach den Terrortaten wurde der Ruf nach engerer Zusammenarbeit in Europa wieder laut.

SPD will „negative Religionsfreiheit“ anerkennen

Die SPD fordert in einem Änderungsantrag, auch die sogenannte „negative Religionsfreiheit“ anzuerkennen. Das Recht, keinen religiösen oder anderen Glauben zu haben sowie sich öffentlich kritisch mit Religionen auseinanderzusetzen, sei „ein untrennbarer Bestandteil der in Artikel 4 des Grundgesetzes garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit“. Dazu gehörten auch die künstlerische Auseinandersetzung über Inhalte und Personen von religiöser Bedeutung.

In einem weiteren Antrag zu dem Debattenpunkt verlangt der AfD-Abgeordnete Claus Schaffer „die Aufenthaltsbeendigung und Abschiebung aller als islamistisch motivierten Personen im Rahmen der bestehenden rechtlichen Regelungen zu betreiben“ sowie „islamistische Gefährder im Zuge der Aufenthaltsbeendigung/Abschiebung bis zum Vollzug der Abschiebung im Rahmen der rechtlichen Regelungen in Haft zu nehmen.“

Verfassungsschutz beobachtet

Am Montag wurde bekannt, dass nach den jüngsten islamistischen Terroranschlägen in Wien und Frankreich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes die Gefahr von Folgetaten bestehe. „Terroristische Anschläge werden in der dschihadistischen Szene durchweg als Erfolge bewertet, gar gefeiert“, sagte Schleswig-Holsteins oberster Verfassungsschützer Joachim Albrecht der Deutschen Presse-Agentur. „Es besteht daher die Gefahr, dass stark radikalisierte Mitglieder der Szene Anschläge zum Anlass nehmen, bereits vorhandene Tatüberlegungen zu konkretisieren.“ Der Verfassungsschutz beobachte den islamistischen Terrorismus seit Jahren schwerpunktmäßig.

Der Landtag hatte sich zuletzt im Mai mit breiter Mehrheit gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Terror und für eine offene, tolerante und auf gegenseitigen Respekt ausgerichtete Gesellschaft ausgesprochen.

(Stand: 16. November 2020)

Vorherige Debatten zum Thema:
Mai 2020
Juni 2020 (Verfassungsschutzbericht 2019)
Mai 2019 (Verfassungsschutzbericht 2018)

Anträge

Islamismus und religiös motivierter Extremismus haben keinen Platz in Schleswig-Holstein – Solidarität mit Dresden, Paris, Nizza und Wien
Antrag der Fraktionen von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP – Drucksache 19/2559

Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drucksache 19/2566

Die Religion des Terrors ist der politische Islam
Antrag des Abgeordneten Claus Schaffer und der Abgeordneten der AfD – Drucksache 19/2556