Der SSW fordert die Landesregierung auf, sich mit einer Bundesratsinitiative dafür einzusetzen, dass das Sammeln von weggeworfenen Lebensmitteln aus dem Abfall des Handels erlaubt wird. In einem Antrag wird auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, das jüngst nochmals bestätigt hat, dass das sogenannte Containern eine Straftat ist. Bislang gilt es als Diebstahl oder Hausfriedensbruch, wenn Menschen Essensreste aus Müllcontainern von Supermärkten sammeln. Verschiedenen Quellen zufolge werden jedes Jahr mindestens elf Millionen Tonnen Lebensmittel in Deutschland weggeworfen – in Haushalten, Restaurants und Lebensmittelläden.
Bereits im Juni 2019 hatte die SPD eine ähnliche Forderung im Landtag gestellt, die damals aber an der Koalitionsmehrheit scheiterte. Die Initiative hatte sich für eine Überprüfung des geltenden Rechts sowie für freiwillige Maßnahmen des Handels zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ausgesprochen. Der SSW bringt jetzt eine „Neuregelung der Eigentumsaufgabe“ ins Spiel, mit der der Handel „von der Haftung für theoretisch entstehende Schäden befreit wird“. Das sei eine mögliche Variante, wie das Einsammeln weggeworfener Lebensmittel schnell legalisiert werden könne.
„Niemandem Schaden zugefügt“
Hintergrund des jüngsten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts: Nachdem zwei Studentinnen aus Oberbayern im Juni 2018 nachts in Olching bei München von der Polizei erwischt werden, wie sie aus den Abfällen eines Supermarkts Obst, Gemüse und Joghurt fischen, leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen „wegen besonders schweren Falls des Diebstahls“ ein. Zur beantragten Geldstrafe von jeweils 1200 Euro kommt es zwar nicht. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck hält den Studentinnen im Januar 2019 zugute, „dass die entwendete Ware für den Eigentümer wertlos war“. Aber die beiden werden schuldig gesprochen und verwarnt – mit je acht Stunden Sozialarbeit bei der örtlichen Tafel.
Im November 2019 reichen die jungen Frauen Verfassungsklage ein. „Wir haben niemandem Schaden zugefügt“, sagen sie damals. Unterstützung bekommen die beiden Frauen von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die es sich zum Ziel gesetzt hat, Grund- und Menschenrechte vor Gericht einzuklagen. Nach Auffassung der Nichtregierungsorganisation hat sich das Strafrecht auf Verhalten zu beschränken, das dem geordneten Zusammenleben schadet. Und das „Containern“ zur Rettung weggeworfener Nahrung sei nicht sozialschädlich, sondern im Gegenteil sozialfreundlich.
Eigentumsgrundrecht ist zu beachten
Die Verfassungsrichter deuten am 18. August dieses Jahres zwar an, dass man den Umgang mit entsorgten Lebensmitteln auch anders regeln könnte. Es sei aber nicht Aufgabe des Gerichts zu prüfen, „ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat“. Initiativen, das „Containern“ zu entkriminalisieren, seien bisher nicht aufgegriffen worden. Die Grundsatzentscheidung, hier vorrangig das Eigentumsgrundrecht zu schützen, sei nicht zu beanstanden.
Denn auch dafür gibt es gute Gründe, wie die Richter in ihrem Beschluss schreiben. Der Container stand auf dem Gelände des Supermarkts – und zwar verschlossen. Ein vom Inhaber bezahlter Entsorgungsspezialist sollte die Abfälle abholen. Mit der Vernichtung habe der Eigentümer den Verzehr möglicherweise verdorbener Waren ausschließen und sich vor Haftungsrisiken schützen wollen. Diese Interessen seien grundsätzlich zu akzeptieren, so die Richter.
Geringe Schuld
Die Richter argumentieren auch damit, dass es genügend Möglichkeiten gebe, im Einzelfall der geringen Schuld des Täters Rechnung zu tragen. Die GFF hält diese Auswege aber für ungenügend: An der Bewertung des „Containerns“ als strafbarer Diebstahl ändere sich nichts. „Auch eine Verwarnung ist ein staatlicher Schuldspruch, der im Bundeszentralregister steht und stigmatisierend wirkt.“
Laut GFF wird das Containern allerdings längst nicht überall so scharf verfolgt. In Hamburg empfehle der Justizsenator den Staatsanwaltschaften, solche Fälle einzustellen. In anderen Bundesländern komme es darauf an, ob der Abfallbehälter gesichert auf dem Supermarkt-Gelände oder unverschlossen an der Straße stehe.
SSW blickt nach Frankreich und Tschechien
Der SSW im Kieler Landtag verweist zudem darauf, dass Supermärkte in Frankreich per Gesetz verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel zu verteilen, zum Beispiel an soziale Einrichtungen. Und: „In Tschechien müssen Supermärkte unverkaufte Lebensmittel an Wohltätigkeitsorganisationen spenden“, heißt es in dem vorliegenden Antrag weiter.
(Stand: 21. September 2020)
Vorherige Debatte zum Thema:
Juni 2019