Vor der Eröffnung der Plenartagung sprechen Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) stehend miteinander.
©
Foto: Michael August
Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie tritt Schleswig-Holstein in eine „neue Phase“ ein. Das betonte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) vor dem Landtag und kündigte weitgehende Lockerungen bei den geltenden Einschränkungen in den Bereichen Kinderbetreuung, Gastronomie, Tourismus und Freizeit an. Entscheidendes Datum soll Montag, der 18. Mai sein. „Wir können heute feststellen, dass wir das Infektionsgeschehen weiter im Griff haben“, sagte Günther. Zugleich mahnte er die Menschen, die neue Situation „mit Augenmaß“ anzugehen und die Hygienevorschriften und das Abstandsgebot von 1,50 Meter weiter einzuhalten. Im Plenarsaal trennen durchsichtige Schutzwände aus Acrylglas die Abgeordneten voneinander. Damit können zum ersten Mal in der Corona-Krise wieder alle Parlamentarier an der Plenarsitzung teilnehmen.
Der neue Kurs der Landesregierung basiert auf den Absprachen der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung vom Vortag. Konkret sollen die Kitas in mehreren Stufen hochgefahren werden. Ab 18. Mai sollen Gruppen mit bis zu zehn Kindern möglich sein, statt bisher fünf. Ab 1. Juni soll dann ein „eingeschränkter Regelbetrieb“ gelten, der es allen betroffenen Kindern ermöglichen soll, „eingeschränkt wieder in den Kitas zu sein“. Ab dem 25. Mai sollen alle Klassen in den Grundschulen „zumindest tageweise“ offenstehen, und für alle Schüler soll es bis zu den Sommerferien eingeschränkten Präsenzunterricht geben.
Auch Auswärtige dürfen wieder ins Land
Ebenfalls am 18. Mai sollen Restaurants, Gaststätten, Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätze wieder in Betrieb gehen. Günther rief die Betreiber auf, bis dahin Hygienekonzepte zu erarbeiten und „sauber und seriös für den 18. Mai alles vorzubereiten“. Die Gastronomie darf dann bis 22 Uhr öffnen. Die bisherigen Betretungsverbote für Inseln und Halligen werden aufgehoben, und „touristische Verkehre nach Schleswig-Holstein werden wieder möglich sein“. Falls der Tagestourismus überhandnehme, seien jedoch ein „Kapazitätsbeschränkungen“ in Ostholstein oder an der Nordsee denkbar.
Weiterhin dürfen Fitnessstudios am 18. Mai wieder öffnen, ebenso wie Fahrschulen, und auch „Veranstaltungen mit Sitzcharakter bis 50 Personen“ sind dann möglich. Es gehe jetzt darum, „Verantwortung und Freiheit“ in Einklang zu bringen, so der Ministerpräsident: „Das wird alles nur funktionieren, wenn diejenigen, die die Freiheit bekommen, sich ihrer Verantwortung bewusst sind“. Dies sei eine „enorme Herausforderung“, aber, so Günther: „Ich bin mir sicher, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen können.“
Stegner: Respekt für Senioren, Pfleger und Erzieher
Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) nannte den Termin 18. Mai „vernünftig“ und lobte die Politik der Landesregierung im Grundsatz: „In Schleswig-Holstein sind wir im Großen und Ganzen auf einem guten Weg.“ Stegner wies auf die schwierige Situation vieler Menschen in Pflegeheimen hin und mahnte „Respekt für unsere Eltern und Großeltern“ an. Bei der staatlichen Unterstützung müssten jetzt das Pflegepersonal, die Erzieher und die Reinigungskräfte im Mittelpunkt stehen. „Es dürfen nicht diejenigen Gehör finden, die die größte PR- und Rechtsabteilung haben“, so der SPD-Fraktionschef mit Blick auf Großindustrie und Fußball-Bundesliga.
Die gestrige Vorlage aus Berlin mit der Gestaltung neuer Feiheiten in Länderregie, lobte er. Auch „der beschlossene Bremsmechanismus, mit dem regional auf neue Ansteckungshotspots schnell reagiert werden kann, ist darum eine kluge Regelung“, so Stegner.
Koch fordert neues Konjunkturprogramm
CDU-Fraktionschef Tobias Koch erklärte, Schleswig-Holstein könne trotz aller negativen Auswirkungen mit der Entwicklung der Pandemie „vergleichsweise zufrieden“ sein. „Wir befinden uns in einem weitgehenden Gleichklang mit dem Musterbeispiel Österreich“, sagte er und lobte besonders die Ausweitung der Kita-Betreuung sowie die Öffnung von Hotels, Gaststätten und Campingplätzen ab dem 18. Mai. „Es ist wichtig, dass hier wieder eine Perspektive besteht, die sogar eine Sommersaison 2020 möglich macht“, sagte er.
Nun müssten die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise begrenzt werden, mahnte Koch. Die Weichen im kommenden Jahr sollten so gestellt werden, dass sie „neue Impulse für Aufschwung und Wirtschaftswachstum“ bringen. Koch forderte hierfür ein neues Konjunkturprogramm.
Grüne sehen „Raum für Optimismus“
Den emotionalen Aspekt der Corona-Krise in den Mittelpunkt stellte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Eka von Kalben. Sie mahnte, Politik müsse nachvollziehbar sein, „gerade in einer Zeit, in der wir den Bürgerinnen und Bürgern so viel zumuten“. Die Menschen müssten die Regeln verstehen, nur dann erführen diese auch Akzeptanz. „Die ersten Schritte geben Hoffnung und Perspektive und ermöglichen einen Einstieg in den Alltag mit Corona“, sagte sie.
In Schleswig-Holstein sei jetzt „ein guter Weg gefunden, der Raum für Optimismus ermöglicht“. Trotzdem betonte sie, alle müssten besonnen bleiben, denn die Krise sei noch lange nicht am Ende und es gebe noch viele Fragen zu klären. „Die Menschen wollen Plan, aber wir haben keine Glaskugel.“ Von Kalben hob zudem hervor, die Klima-Krise trete derzeit in den Hintergrund, sie sei aber nach wie vor vorhanden.
Vogt: Eigeninitiative ist gefragt
Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen Christopher Vogt lobte den „klaren Fahrplan“, der gestern im Kieler Kabinett erarbeitet worden ist. „Die Landesregierung macht einen wirklich guten Job“, konstatierte er. Die Lockerungen böten „klare Perspektiven“. Und das sei sehr wichtig. Denn, so Vogt, um das Infektionsgeschehen weiterhin unter Kontrolle halten zu können, müsse man sich darauf einstellen, seine „Lebensweise für eine lange Weile anzupassen“.
Es finde gerade eine Änderung der Strategie hin zu milderen Mitteln mit mehr Eigeninitiative statt. „Jeder Einzelne trägt Verantwortung für den Erfolg bei der Pandemiebekämpfung“, betonte Vogt. Nach der akuten Phase des Krisenmanagements in den vergangenen Wochen mahnte der Liberale zudem „die Gewaltenteilung wiederherzustellen“ und zukünftig auf „zielgerichtete, regionale Maßnahmen“ zu setzen, sollten die Infektionszahlen lokal stark ansteigen.
AfD verlangt mehr statistische Daten
„Eine gemeinsame Bundeslinie gibt es nicht mehr“, stellte der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Nobis fest. Die Länder hätten in den vergangenen Tagen schon Fakten geschaffen, etwa als sich Ministerpräsident Günther bereits am Dienstag zum Fahrplan für den Tourismus geäußert hatte. „Wir begrüßen ausdrücklich, dass Schleswig-Holstein die Verantwortung wieder übernimmt“, sagte Nobis weiter.
Die Dynamik des Infektionsgeschehens sei regional sehr unterschiedlich und nicht einmal in Schleswig-Holstein gleich. Vor diesem Hintergrund forderte er Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) auf, „die Infektionszahlen jeder einzelnen Stadt und Gemeinde“ vorzulegen. Denn etwa über Schulöffnungen sei „von Ort zu Ort“ zu entscheiden. Die Zeit sei gekommen, wieder Perspektiven zu geben – „mit der gebotenen Übersicht und mit einem Blick für die Sorgen und Nöte der Bürger“.
Harms vermisst konkreten Ausstiegsplan
Lars Harms (SSW) ist der Meinung: Am härtesten trifft es den Tourismus im Land und die Branchen, die damit zusammenhängen. In der Gastronomie gebe es 99 Prozent Kurzarbeit, im Vermietungsgewerbe seien es 95 Prozent. „Geht es dem Tourismus schlecht, geht es vielen Menschen in unserem Land schlecht“, so Harms. Er kritisiert auch, die Landesregierung habe keinen konkreten Ausstiegsplan aus den Corona-Maßnahmen erarbeitet. „Alle hatten Ideen, nur die Landesregierung nicht.“
Aus seiner Sicht kommt der Neustart am 18. Mai zu spät. Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen hätten schneller gehandelt. „Warum müssen unsere Gastronomen noch eine Woche länger warten?“, fragte Harms. Die Landesregierung hätte schon Ende April einen Ausstiegsplan vorlegen müssen.